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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999
Autoren: Heinz G. Konsalik
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konnte brüllen, eisig dozieren und bezaubernd plaudern.
    »Sie wissen, warum ich gekommen bin?« fragte Julia, dankbar für das Dämmerlicht im Vorraum, das ihre zitternden Hände und ihr heißes Gesicht verbergen half. Sie zwang sich zur Ruhe, doch ihre Stimme bebte.
    »Ich kann es mir denken, gnädige Frau, oder besser: Kollegin. Wir sind doch Kollegen? Aber kommen Sie, warum stehen wir hier herum? Was es auch ist, was Sie mit mir zu besprechen haben, wir können es uns bequemer machen.« Er öffnete eine dunkle Eichentür und führte sie in den mit zierlichen Möbeln ausgestatteten Salon, der zum Garten hin lag.
    Ein großes Glasfenster, beinahe eine Glaswand, ließ den Blick frei in den großen, baumbestandenen, parkähnlichen Garten, der jetzt in die erste Abenddämmerung eingehüllt war. Zwischen Rhododendron und Fliederbüschen lag halb versteckt ein Schwimmbecken.
    Dr. Kukill drehte das Licht an und zog die schweren Vorhänge zu. Dann deutete er lächelnd auf einen großen, zitronengelben Sessel: »Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
    Julia setzte sich. Wie brachte es der Mann nur fertig, unausgesetzt zu lächeln und so ruhig zu erscheinen – obwohl er doch wissen mußte, was sie von ihm wollte?
    »Ich möchte mit Ihnen über alles noch einmal sprechen«, begann Julia. Jetzt brauchte sie sich nicht mehr zur Ruhe zu zwingen, sie war ruhig. Der Mann, der aus der Wand einen Bartisch herausklappte, war ihr Gegner. Ein Gegner, den man nur mit kühl rechnendem Verstand besiegen oder in die Enge treiben konnte.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, welchen Sinn es hätte«, sagte er und drehte sich hin zu ihr. »Aber sagen Sie zuerst – was wollen Sie trinken, einen Kognak? Armagnac 1913? Ich habe ihn für die liebsten Gäste.« Er brachte es tatsächlich fertig, dies ohne eine Spur von Ironie in der Stimme zu sagen.
    »Bitte«, sagte Julia.
    Dr. Kukill zündete eine Kerze an, wärmte zwei Schwenkgläser über der kleinen flackernden Flamme an und schenkte dann die goldbraune Flüssigkeit ein – etwa fingerbreit voll in jedes Glas. »Es gibt Menschen«, plauderte er währenddessen, »die mir dies alles übelnehmen, das Haus hier oder den Kognak aus dem Jahre 1913, wenn Sie wollen. Es sei keine Zeit dafür, meinen sie. Welche Zeit soll dann dafür sein? Laut Versicherungstabellen beträgt die Lebenserwartung des heutigen Europäers etwa 66 Jahre. Durch den Krieg wird sie einen beachtlichen Fall nach unten machen. Morgen kann es soweit sein – aus für immer. Soll man da das Leben nicht zu würzen versuchen, was meinen Sie?«
    »Daran habe ich noch nicht gedacht«, sagte Julia.
    »Aber nicht doch! Nicht so bitter!« lächelte er, setzte sich, hob das Glas, betrachtete es prüfend gegen das Licht und sah dann Julia an: »Kommen Sie, trinken wir – auf Ihr Wohl!«
    »Ich weiß nicht, was Sie für ein Mensch sind«, begann Julia dann, »vielleicht sehen Sie wirklich nur das hier« – mit der Hand machte sie eine kleine Gebärde, die Kukills Salon, sein Haus, den Garten, den Kognak auf dem Tischchen und seine Worte umfaßte – »vielleicht kümmern Sie sich wirklich nicht darum, was um Sie vorgeht.«
    »Kaum«, lächelte Dr. Kukill.
    »Aber das andere gibt es auch«, sprach sie weiter, ohne ihn zu beachten. »Gestern gab es einen Luftangriff und viele Tote, und heute wird es wahrscheinlich wieder einen Angriff geben und vielleicht noch mehr Tote, und es gibt Rußland und Italien und immer wieder den Tod, aber auch kleine, scheinbar kleine Sachen, die anderen Menschen das Leben bedeuten – oder das, wofür sie leben.«
    »Ihren Mann, das meinen Sie doch?« sagte Dr. Kukill trocken.
    »Ja«, antwortete Julia und sah ihn voll an. »Das ist meine Welt. Verstehen Sie mich doch – ich – ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen sollte als zu Ihnen. Es war alles eine Verkettung tragischer Umstände.«
    »So würde es ein Jurist nennen. Wir wollen einfacher sprechen: Es war ein Irrtum, das wollten Sie doch sagen?«
    »Und Sie? Was sagen Sie?«
    Dr. Kukill schob die Unterlippe vor und betrachtete sinnend seine schmalen, weißen Hände: »Und wenn es wirklich ein Irrtum gewesen wäre …?«
    Julia sprang auf: »Und das – das sagen Sie? Ihr Gutachten hat Ernst den Hals gebrochen, Ihretwegen wurde er verurteilt! Und nun – nun sitzen Sie seelenruhig hier und sagen: Und wenn es wirklich ein Irrtum gewesen wäre?«
    »Bitte, beruhigen Sie sich doch! Setzen Sie sich! Mein Gutachten war rein wissenschaftlicher Art. Es war fundiert,
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