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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999
Autoren: Heinz G. Konsalik
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heute unten und morgen ganz tief unten. Ich meine – unter der Erde. Bleiben Sie oben, Obermeier, das ist wichtig. Das ist das wichtigste: immer oben bleiben, versuchen Sie, höher zu klettern, aber nicht zu hoch. Und vergessen Sie, was diese Leute früher einmal waren. Vergessen Sie es, sonst kann Ihnen einmal das gleiche passieren. Diese Menschen haben keine Vergangenheit mehr, Sie sind Schützen in einem Strafbataillon. Schützen ohne Gewehre. Die Ehre, Waffen zu tragen, haben sie sich verscherzt. Es bleibt ihnen nur noch die Ehre, sterben zu dürfen. Schützen im Strafbataillon 999«, sagte er langsam, als müßte er jeden Buchstaben einzeln auskosten. Mit einer schnellen, abrupten Bewegung steckte er die Hände in die Hosentaschen und zog die Schultern hoch. »Überleben«, sagte er, »oben bleiben, kein Idiot sein. Haben Sie etwas zu trinken?«
    »Hennessy?« fragte der Oberleutnant.
    »Her damit!« sagte der Hauptmann.
    Die Hoffnung ist ein Stehaufmännchen. Auch in der dunkelsten Verzweiflung finden wir plötzlich ein Körnchen Hoffnung, verborgen zuerst, doch dann wachsend und größer werdend, einem sich ausbreitenden, immer helleren Sonnenstrahl ähnlich. Es stimmt wohl: Oft ist es eine falsche Hoffnung, trügerisch und unwirklich, an die wir uns klammern; sie ist erwachsen aus unseren brennenden Wünschen und Vorstellungen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Aber darauf kommt es nicht an: Wir werden stärker durch sie, sie hilft uns, uns selber und unsere Resignation zu überwinden, und läßt uns schließlich, zerstört und unerfüllt, einen Ausweg erkennen oder erahnen – das Körnchen einer neuen Hoffnung.
    So erging es auch Julia Deutschmann.
    Der Hoffnungsstrahl, den sie nach der demütigenden, vergeblichen Unterredung mit General von Frankenstein zu sehen glaubte, hieß Dr. Albert Kukill.
    Seltsam genug: Dr. Kukill war der Sachverständige im Prozeß gegen Ernst. Der Mann mit einem eiskalten Intellekt, dessen Urteile messerscharf und endgültig waren und in allen Prozessen als unfehlbar galten. Wäre Dr. Kukill nicht gewesen, wäre Ernst kaum verurteilt worden. Der General hatte gesagt: »Ich selbst bin in diesen Sachen ein Laie und stütze mich auf korrekte, wissenschaftliche Analysen bekannter Sachverständiger.« Also gab es keinen anderen Weg, als diese Sachverständigen zu überzeugen, daß sie unrecht hatten, dachte Julia. Genaugenommen – einen Sachverständigen: Dr. Kukill.
    Wenn Dr. Kukill zugab, daß er sich geirrt hatte, dann gab es doch noch eine Revision des Urteils, dann gab es kein Strafbataillon 999 mehr für Ernst.
    Sie wußte, daß ihre Aufgabe nicht leicht war. Sie war selbst Ärztin und kannte viele Kollegen – aber verschwindend wenige waren darunter, die bereit gewesen wären, einen Fehler zuzugeben. Dr. Kukill schien nicht einer von ihnen zu sein. Aber vielleicht, wenn sie es richtig machte, wenn sie die richtigen Worte wählte, wenn sie klug vorging – ja, es war die einzige Möglichkeit, die übrigblieb, wollte sie Ernst helfen.
    So kam es, daß sie gegen Abend des gleichen Tages, als sie mit General von Frankenstein gesprochen hatte, vor Dr. Kukills Villa in Berlin-Dahlem stand und ihren ganzen Mut zusammennahm, bevor sie auf die Klingel drückte. Vorher anmelden wollte sie sich nicht; das Dienstmädchen oder die Sekretärin würden mit Sicherheit gesagt haben, Dr. Kukill sei verreist oder sonst was, wenn sie ihren Namen gehört hätten. Sie mußte unverhofft kommen, plötzlich vor ihm stehen, das Gespräch mit ihm erzwingen, ihm keine Frist geben, seinem schiechten Gewissen zu entfliehen.
    Nun stand sie vor ihm.
    Er trug einen eleganten Zweireiher, sein graues Haar war glatt zurückgekämmt, sein schmales Gesicht zeigte eine entfernte Ähnlichkeit mit einem spähenden Raubvogel. Und seine Augen paßten dazu: Sie waren grau, hart, überlegen.
    Er ließ sich seine Überraschung nicht anmerken, als er Julia sah; und wenn er sich ihr gegenüber – oder besser: Ernst, ihrem Mann, gegenüber schuldig fühlte, dann verstand er es zu verbergen. Aber selbst dann: Sah ein Mann so ruhig und überlegen aus, der sich schuldig fühlte?
    Julia wurde unsicher.
    Er reichte ihr die Hand wie einer guten alten Bekannten. Dabei lächelte er, sein Gesicht verlor mit einem Schlag die Härte und die unnahbare Strenge, und als er sprach, brach aus ihm seine charmante Wiener Art hervor, der betörende Tonfall einer Stimme, die er zu gebrauchen verstand wie ein Instrument: Sie
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