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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen
Autoren: Léo Malet
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mir?“
    „Daß Sie mich vor Moreno beschützen.“
    „Sie sagten, er sei zurückgekommen?“
    „Ja.“
    „Welchen Anhaltspunkt gibt es dafür?“
    Sie strich sich mit der Hand übers Gesicht.
    „Ich werd’s Ihnen erklären. Heute wollte ich
erst mal Kontakt mit Ihnen aufnehmen, sehen, ob Sie der Burma sind, den ich
damals kannte, Morenos Freund. Und sehen, ob Sie mir helfen wollen. Wollen
Sie?“
    „Ich werde mein Möglichstes tun.“
    „Danke...“
    Sie erhob sich: „...Ich bin müde. Ich möchte
jetzt nicht mehr darüber reden. Kommen Sie morgen zu mir nach Hause. Dann werde
ich Ihnen die nötigen Einzelheiten mitteilen, die Sie für Ihre Nachforschung
brauchen. Gegen elf Uhr, Rue des Jeûneurs. Stoffe Berglevy, fünf Etagen:
Wohnung, Büros, Lagerräume, Geschäftsräume. Sie können es nicht verfehlen. Man
sieht’s schon kilometerweit.“
    „Ich werde kommen“, sagte ich.
    Sie ging zur Verbindungstür, schwerfällig auf
ihren dicken Beinen. Ich brachte sie nach draußen.
    „Bis morgen“, sagte sie. „Schön, daß ich Sie
wiedergesehen habe. Und verzeihen Sie bitte, daß ich nicht mehr Alice bin.“ Ich
gab ihr wortlos die Hand, ging wieder hinein und schloß die Tür. Hélène
klapperte auf der Schreibmaschine. Sollte wohl so aussehen, als käme die
Agentur Fiat Lux vor Arbeit um. Ein Sonnenstrahl spielte mit ihren
kastanienbraunen Haaren. Das würde nicht immer so bleiben. Jedenfalls würde er
nicht immer mit denselben Haaren spielen. Das Altwerden ist eine häßliche
Geschichte. Von allen Geschichten die häßlichste. Ich ging hinunter ins Bistro
an der Ecke, um mich wieder aufzurichten, zum Leidwesen meiner Leber.
     
    * * *
     
    Am frühen Nachmittag war ich wieder etwas besser
drauf. Ich ging in die Bibliothèque Nationale und blätterte in den Ausgaben der Libertaire vom Juni 1937. Es dauerte nicht lange, und ich fand den
gesuchten Artikel. Ich erinnerte mich an ihn, als hätte ich ihn gestern zum
ersten Mal gesehen. Es ging um zwei Leute, die ich kannte. Aber mein Gedächtnis
konnte mich täuschen. Deswegen wollte ich es auffrischen. Der Artikel erklärte
die Umstände, unter denen drei Mitglieder der Colonne Duruti von den Franquisten gefangengenommen und erschossen worden waren. Es handelte
sich um Louis Barel, Pierre Lagogué und Denis Séverin. Der letztere war
Anführer einer Sprengstoffeinheit gewesen...
     
    ... Denis Séverin war bekannt bei unseren
Kameraden der Groupe d’Etudes sociales von Montpellier und bei unseren Freunden
von Lyon, wo er eine Zeitlang ein philosophisches Blatt geleitet hatte, das
unseren Ideen sehr nahestand...
     
    Denis Séverin war nicht der richtige Name von
Georges Moreno — den hab ich nie erfahren. Aber er gehörte zu seiner Sammlung.
Wenn Georges jetzt, zwanzig Jahre nachdem er die Erbin eines reichen
Tuchhändlers entführt hatte, zurückkehrte, um bei dem Mädchen und ihrer Familie
Krach zu schlagen, dann nur während einer spiritistischen Sitzung. Die Firma
Lévyberg konnte ihn leicht loswerden. Sie brauchte ihm nur ein neues
Leichentuch zum Fabrikpreis geben. War nur die Frage, ob die Schatten im
kranken Hirn einer Frau, die anscheinend sehr viel gelitten hatte, nicht
gefährlicher waren als die Lebenden.

Schiefer Haussegen
     
    Man sah es nicht gerade kilometerweit; denn auf der
Rue des Jeûneurs hat man keinen weiten Blick wie auf der Place de la Concorde.
Aber als ich vor dem Gebäude stand, konnte ich es gar nicht übersehen. Daß hier
kein Schwarzhändler unter der Hand Stoffe verkaufte, war auch sonnenklar. Fünf
Etagen. Eine Fassade, so breit wie eine Flußmündung. Viele hohe Fenster. In
jeder Etage horizontal eine lange Tafel aus schwarzem Marmor oder ähnlichem
Material. Darauf stand in Goldbuchstaben:
    STOFFE BERGLEVY.
    Tuche, Wollgewebe, Baumwollgewebe, Seidenstoffe.
    Groß- und Einzelhandel Lévyberg Nachf.
    Lévyberg wurde dreimal wiederholt. Der Junge war
stolz auf seinen Familiennamen. Würde ihn sicher nie gegen Dupont eintauschen.
Neben dem Portal parkte ein großer gelbschwarzer Lieferwagen. Auf den
Seitenflächen las ich: Spedition T.B.R.L. Noch ein Unternehmen von René
Lévyberg, dessen Name immer unter dem Firmennamen stand. Sicher stand auch der
Name in Großbuchstaben auf der Rückseite der Pyjamas, die sich Monsieur
Lévyberg aus eigenem Tuch anfertigen ließ. Wie auf den Bademänteln der Boxer
oder auf den Kitteln der Tankwarte. Vielleicht hatte ich aber auch Vorurteile.
    Ich ging durch das unfreundliche Portal.
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