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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen
Autoren: Léo Malet
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ließ)
sogar ein Erzbischof unter nie restlos geklärten Umständen zu Tode kam. Was die
Geistlichkeit freilich nicht bewog, an dieser Stelle eine Gedenktafel anbringen
zu lassen.
    Das dauerhafte
Bemühen der Obrigkeit, die lästigen Vertreterinnen des lustvollen Lasters an
den Rand der innerstädtischen Wohnbezirke zu drängen (wobei im Französischen bord für Rand oder Ufer steht), führte dazu, daß die interessierte Kundschaft, die
den Weg in die nun entstehenden Randbezirke nicht scheute, diese neuen
Behausungen bordes nannte und deren Insassen Filles Bordelières. Was dann in Folge das Bordell entstehen ließ.
    Es ist
verbürgt, daß der Schriftsteller und Abenteurer Giacomo Casanova bei seinen
amourösen Streifzügen während seines Pariser Aufenthalts keine allzu lange
Fastenzeit einlegte, aber es bleibt offen, inwieweit er dabei auch die Filles
Bordelières im Dunstkreis der Rue St. Denis frequentierte. Immerhin ist
überliefert, daß er in der nahegelegenen Rue Montmartre ein staatliches
Lotterieunternehmen ins Leben rief.
    Das Quartier
zwischen der Rue St. Denis und der Rue Montmartre ist als ,Sentier’
bekanntgeworden. Eine Wortverformung aus ,Chantier’, also der Baustelle, auch
dem Lagerplatz. Gelagert werden dort schon seit Jahrhunderten Stoffballen vor
allem und auch Pelze. Es ist das Viertel der Tuchhändler. Keine willkürliche
Idee also von Léo Malet, seinen Lévyberg gerade dort heimisch werden zu lassen.
    Die Stille
und fast dörflich anmutende Rue de la Lune (die Mondstraße) beherbergte jene
spezielle Buchhandlung, die, wie Burma schnell herausfand, bei Kunstfreunden
einen weit weniger guten Ruf genoß als bei Gunstliebhabern. Ein fest
verrammelter Fensterschutz vor dem Laden gleich neben der Kirche
Notre-Dame-de-Bonne-Nouvelle läßt offen, welchen Aktivitäten man heute dort
nachgeht.
    Ein paar
Schritte sind es jedenfalls nur von dort bis zur Place du Caire und damit ist
man im ägyptischen Viertel. Es gibt auch eine Rue du Caire, eine Rue
d’Alexandrie, eine Rue du Nil und eine Rue d Aboukir. All diese Namen erinnern
den napoleonischen Ägypten-Feldzug.
    An der Place
du Caire macht eine der eigentümlichsten Hausfassaden von ganz Paris auf sich
aufmerksam. Eine Art in Stein gehauener Bilderbogen ägyptischer Symbole. Mit
Pharaonenköpfen, Hieroglyphen und allerlei Getier. Ganz oben, unter dem
Dachfirst hat sich ein karikaturhaftes Männerantlitz mit einer mächtigen Nase
eingeschlichen. Angeblich ist es das Ebenbild des Architekten Bouginier, dem
seine schalkhaften Gesellen mit diesem Konterfei einen Streich spielen wollten.
    Hinter dieser
Fassade versteckt sich die Passage du Caire. Jener schlauchartige Durchgang, in
dem Esther Lévyberg ihrem Mörder zum Opfer fiel. An dieser Stelle hatte früher
eine der Cour des Miracles ihre Heimstatt. Wunderhöfe hat man sie
genannt, weil dort spätabends, nach getanem Tagwerk, Blinde wieder sehend und
Humpelnde wieder springlebendig wurden. Es war die Hochburg der organisierten
Bettlergilde und Victor Hugo vermittelt in seinem Roman „Notre Dame de Paris“
ein anschauliches Bild dieser Lasterhöhle: „Geräusch, Geschrei, Gelächter,
Gehen und Kommen, Sitzen und Stehen, alles floß vor den Augen und Ohren bunt
durcheinander.“

    Der
Polizeipräfekt la Reynie ließ schließlich diese Brutstätte des Verbrechens
stürmen und versprach dem letzten halben Dutzend Ganoven, die er bei der Razzia
noch auftreiben konnte, den
Galgenstrick noch für den nämlichen Abend. Bonne Nouvelle sollen die
geplagten Anwohner ausgerufen haben — gute Nachricht, also — und angeblich hat
diese gute Nachricht der angrenzenden Kirche und dem Boulevard den Namen
verliehen.

    Es mag einer
wissenschaftlichen Untersuchung vorbehalten bleiben, warum sich ausgerechnet in
dieser Gegend die Mehrzahl aller Pressehäuser von Paris niedergelassen hat. Die
Zentralen der großen Nachrichtenagenturen finden sich dort, der Figaro ist da zu Hause und France-Soir
und auch das weit über die Grenzen hinaus bekannte Nobelblatt Le Monde. War und
ist es die Nähe der Börse, waren es die Bonnes Nouvelles, die guten
Nachrichten, oder waren es die Wunderhöfe? Oder ist dies alles, was aus dem
zweiten Arrondissement an wunderlichen Geschichten überliefert ist, nur eine
Ansammlung von Enten, die eben den vielen Schreiberlingen, die sich dort
herumtreiben, zu verdanken sind? Auf diese knifflige Frage hat nicht einmal
Nestor Burma eine Antwort gefunden.
     
    Peter
Stephan, im Juli
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