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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen
Autoren: Léo Malet
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und
Nachrichtenhändlern gesellt sich übrigens noch — durchaus nicht unpassend —
eine dritte Spezies hinzu: die Börsianer. Die in neoklassizistischem Stil
erbaute Börse gleicht einem weihevollen Säulentempel, aber im Innern geht es,
vor allem in den turbulenten Mittagsstunden, zu wie in einem Bienenkorb. Der
von Aragons Spürnase erschnupperte Duft der Anarchie muß doch ein laues
Lüftchen sein, das an der Pforte der Börse längst abgeflaut ist. Geld stinkt
eben nicht.
    Um von der
Rue des Jeûneurs zur Börse zu gelangen, muß man die Rue Feydeau durchqueren.
Dort hatte sich der zwielichtige Lemeunier mit seinem Schmierenblatt La
bonne Nouvelle einquartiert. „In einem abbruchreifen, von Holzbalken
dauerhaft abgestützten Gebäude“. Eben doch nicht dauerhaft. Dort, wo „die
unebenen Stufen unter meinen Füßen ächzten“, wie Burma erinnert, ächzen heute
die Bewohner des Neubaus unter saftigen Mietpreisen.
    Weiter
westlich, zur Oper hin, wird’s noch nobler. Im Crédit Lyonnais beispielsweise,
einem der größten französischen Geldinstitute, das in einem fast
festungsartigen Prunkbau mit gewaltigen Ausmaßen beheimatet ist, werden so manche
Gewinne, die an der Börse gemacht worden sind, auf den Konten liegen. Weder
Burma noch sein eher glückloser Konkurrent Richard aus der Rue Choiseul zählten
dabei wohl zu den Großkunden.
    Zu den
renommiertesten Restaurants in diesem Quartier gehört das Drouant. Hier treffen
sich seit 1915 alljährlich in den ersten Dezembertagen die Mitglieder der
wiederum sehr renommierten Académie Goncourt zu einem Mittagessen, nach dem der
Preisträger des Akademie-Wettbewerbs bekanntgegeben wird. Er ist dem jeweils besten
Prosawerk des Jahres gewidmet und vergleichsweise bescheiden dotiert,
verspricht erfahrungsgemäß aber hohe Verkaufsauflagen. Die Brüder Jules und
Edmond Goncourt, Söhne eines wohlhabenden napoleonischen Offiziers, hatten
diese Academie, der übrigens nur Schriftsteller angehören sollen, die nicht in
die noch berühmtere Académie Française berufen wurden, zur Pflege der
Literatur- und Kulturgeschichte gegründet. Im heutigen Stammhaus der Académie
Goncourt am Boulevard de Montmorency in der Nähe des Bois de Boulogne waren
häufig auch Maupassant und Zola zu Gast. In den Werken Emile Zolas stößt man
immer wieder auf das zweite Arrondissement. In die Nähe der Place Gaillon
beispielsweise hat er das Modekaufhaus Au Bonheur des Dames in seinem
gleichnamigen Roman angesiedelt.
    In der Rue
St. Joseph (Nr. 10) wurde Zola 1840 geboren. Ein paar Schritte nur entfernt vom
anfangs zitierten Café du Croissant. Zolas besondere Vorliebe galt den vielen
Passagen, den laut Aragon ,Menschenaquarien’ und ,großen Glassärgen’. Nur noch
ein kleiner Teil der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts über hundert
Passagen hat überlebt. Aber diese überdachten Fußgängerzonen sind längst nicht
mehr Flanierstraßen der ach so feinen Gesellschaft. Das spinnenartige Gewirr
der Eisenkonstruktionen hat Rost angesetzt, das Spiegelglas ist auf vielen
Augen blind und den verblassenden Mosaikboden bedeckt Bauschutt. Viele der
kleinen Läden, die sich hier eingenistet haben, locken die rare Kundschaft
hinter staubigen Schaufenstern mit Restposten. Ausverkauf beherrscht die Szene,
so als seien die Ladeninhaber nur auf Zwischenstation, auf rasche
Vergänglichkeit programmiert. Die Pariser Passagen sind etwas sehr
Vorübergehendes. Auch die Vivienne an der Rue des Petits-Champs, in der am
ehesten noch der Versuch unternommen wurde, den Glanz von vorgestern
Wiederaufleben zu lassen. Nestor Burma wird die Vivienne oft durchquert haben
auf dem Weg zu seinem nahegelegenen Büro. Die Passage des Panoramas in der Nähe
der Börse findet sich in Zolas Nana wieder und leider ganz besonders
trist gibt sich heute die Passage Choiseul am Eingang des Theaters Beuffes
Parisiennes, das die Uraufführung von Offenbachs Orpheus in der Unterwelt gesehen hat. „Eine unglaublich verpestete Ecke“, übertreibt schimpfend der Romancier Céline, der dort seine Kindheit
verbracht hat. An der Nationalbibliothek vorbei, mit über sechs Millionen
Bänden eine der umfangreichsten Büchersammlungen der ganzen Welt, findet man
sehr schnell zur Place des Victoires. Eine der Straßen, die von diesem Platz
wegführen, ist die Rue du Mail, in deren Nummer 13 Franz Liszt lange Jahre
seines Lebens wohnte und an deren Ecke sich im Hotel Macé der windige
Journalist Victor Marcellin einquartiert hatte.
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