Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
angenommen.“
    Ich sagte nichts, nahm das Geld. Alice
verlassen, um Esther wiederzufinden, in eine Vergangenheit einzutauchen, die
die Gegenwart so quälend werden ließ: das war schon eine finanzielle
Entschädigung wert. Außerdem würde das die Firma Berglevy nicht ruinieren. Da
war ich ganz unbesorgt. Taschentücher zum Beweinen von Verlusten würden sowieso
teurer werden. Ich wiederholte meine Frage:
    „Welche Beweise haben Sie für Morenos Rückkehr?“
    „Keine eigentlichen Beweise... Anzeichen...
Doch! Ich habe vor kurzem einen Brief bekommen... einen anonymen Brief...“
    Sie fing an, ein gutes Dutzend Schubladen zu
durchwühlen, ohne jedoch diesen wichtigen Brief zu finden.
    „Hm, hm“, brummte sie und setzte sich wieder in
ihren dunklen Winkel. „Hm, ich hab mich doch nicht umsonst so aufgeregt... Es
schien mir doch so...“
    Nervös knetete sie ihre Finger. Wieder erzählte
sie mir etwas von untrüglichen Anzeichen, ohne konkreter zu werden. Ich wollte
sie beruhigen, bereit, das Geld wieder zurückzugeben; wollte ihr sagen, sie
habe nichts von Moreno zu befürchten, der schon seit einer Ewigkeit tot war. Da
unterdrückte jemand meine Anwandlungen von Ehrenhaftigkeit und Offenheit. Ich
spürte, wie sich in meinem Rücken ein Wandbehang hob. Herein kam eine Person,
von der diese warme Herzlichkeit ausging, mit der sich Gefängnistüren
schließen. Der Mann trug einen eleganten grauen Anzug. Typ Aufsichtsrat. Untersetzt,
kahlköpfig, ein kräftiger Fünfziger. Die jüdischen Merkmale waren bei ihm stark
ausgeprägt. Er hatte die gleichen Augen wie Esther, allerdings die blinzelnde
Ausführung. Seine Erscheinung erweckte nicht gerade Sympathie. Ich persönlich
hatte ihn noch nie leiden können. „Entschuldigen Sie“, sagte der Hausherr.
    Floskel. Er sah mich ohne jede Liebenswürdigkeit
an. Ich stand auf.
    „Guten Tag, Monsieur“, grüßte ich artig, um ihm
an Heuchelei nichts schuldig zu bleiben.
    Er kniff die Lippen zusammen. Sein Nachtvogelblick
wanderte von dem Tablett mit den Erfrischungen zu meiner Gastgeberin.
    „Du hast mich rufen lassen?“ fragte er.
    Esther lachte auf.
    „Nein, mein lieber Bruder. Aber das macht
nichts... Bleib!“ keifte sie, als ihr Bruder so tat, als wollte er sich
zurückziehen.
    Sie stand jetzt auf ihren dicken Beinen.
    „...Ich wollte Dir sowieso Monsieur vorstellen.
Ein alter Freund, den ich wiedergetroffen habe. Ein alter Freund von
mir...Monsieur Burma...Monsieur Lévyberg...“
    Ich verbeugte mich. Er rührte sich nicht, gab
mir nicht mal die Hand.
    „...Du müßtest dich an ihn erinnern, René...“
    Die letzten Worte zischte sie mehr. Dann fuhr
sie fort:
    „...Er ist jetzt Privatdetektiv, aber er war
damals... er war nur...“
    Sie machte eine Pause, vollendete dann den Satz
mit einer hübschen Portion Bosheit:
    „...der Freund von Georges Moreno.“
    Der Tuchhändler zuckte zusammen. In ihm stieg
Wut hoch. Er wurde blaß, seine jüdischen Gesichtszüge verzerrten sich. Seine
schweren Augenlider schlugen noch heftiger:
    „Du solltest wissen, daß es für mich nicht
angenehmer ist, mich an diesen Moreno zu erinnern als an Hitler!“ grollte er
dumpf.
    „Sie sind sehr nachtragend, Monsieur“, bemerkte
ich. „Ich meine, was Moreno betrifft.“
    Er warf mir einen vernichtenden Blick zu:
    „Ja, Monsieur. Auch wenn es Ihnen nicht
gefällt!“
    „Rachsucht!“ lachte Esther. „Eine
Familientugend, die wir eifersüchtig pflegen!“
    „Ich bin nicht rachsüchtig“, sagte ich mit
Hintergedanken. „Sehen Sie, Monsieur, zu der Zeit, auf die Ihre Schwester
anspielt, als einmal Ihre Faust das Gesicht meines Freundes Moreno nicht finden
konnte, wollten Sie Ihre Wut an meinem auslassen...“
    „Möglich.“
    „Bestimmt. Na ja, Monsieur, ich habe diesen
Vorfall vergessen. Es kommt mir erst jetzt wieder in den Sinn, wenn ich Sie so
vor mir seh. Oh! Sehr undeutlich, seien Sie unbesorgt. Pah! Hopp! Schon wieder
vergessen.“
    „Sie üben sich in der Vergebung der Sünden?“
spottete er. „Nennen Sie es, wie Sie wollen.“
    „Sie sind ein guter Christ. Bewundernswert, mein
lieber Burma“, lachte Esther.
    Ich lächelte:
    „Der Pfarrer meiner Gemeinde ist anderer
Ansicht...“
    Ich wandte mich Lévyberg zu:
    „...Moreno dagegen war nicht immer meiner
Ansicht. Er ist ein rachsüchtiger Dickkopf. Und falls er zurückgekommen ist...“
    „Was?“
    Er fuhr hoch. Trotz der spärlichen Beleuchtung
sah ich Panik in seinen blitzenden Augen aufflackern.
    „Was soll
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher