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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen
Autoren: Léo Malet
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Ein
starker Appreturgeruch stieg mir in die Nase. Über den Hof trugen Lagerarbeiter
Tuchballen. Vor einer verglasten Portiersloge stand ein ziemlich alter Mann.
Der Portier schnauzte ihn an:
    „Wie oft soll ich dir’s noch sagen? Du warst
doch gestern schon hier. Wir stellen keine Leute ein! Verstehst du kein
Französisch, Opa?“
    Der Mann draußen gab’s auf. Den Rücken gebeugt,
schlurfte er weiter. Altwerden ist eine häßliche Geschichte. Man findet keine
Arbeit mehr, und jeder beliebige Dreckskerl kann einen anschnauzen, nur weil er
mit seinem Hintern im Warmen sitzt.
    Als ich an dem Glaskäfig vorbeiging, kam der
unangenehme Wachhund heraus. Solche Kerle sehen immer potthäßlich aus. Aber der
hier stellte alle in den Schatten. Dazu schimpfte er noch herum, was ihn nicht
gerade hübscher aussehen ließ. Als er mich sah, bremste er sich nicht etwa,
sondern schimpfte weiter. Dabei musterte er mich von oben bis unten.
    „Was wollen Sie?“ spuckte er schließlich.
    Er stank nach billigem Wein. Ein Biß von ihm,
und man wurde besoffen.
    „Mademoiselle Lévyberg“, sagte ich.
„Mademoiselle Esther Lévyberg.“
    „Was wollen Sie von ihr?“
    „Privat!“ sagte ich schroff. „Ich bin mit
Mademoiselle Lévyberg verabredet. Melden Sie mich bei ihr an, oder sagen Sie
mir, wo ich sie finden kann. Eins von beiden. Mein Name ist Burma.“
    „’tschuldigung, Monsieur“, sagte er lammfromm.
„Diese Arbeitslosen gehen mir auf die Nerven. Die bringen mich zur Weißglut...“
    „In Ordnung. Jeder kommt in die Wechseljahre.“
    „He? Jaja. Wird wohl so sein... Hm... Ich weiß
gar nicht, was ich machen soll...M’oiselle Lévyberg gehört nicht in meinen
Bereich. Ich soll nur die Leute abwimmeln, die meinen, bei uns ist es so wie
bei Renault, wo immer Leute eingestellt...“
    Mit einer plötzlichen Bewegung befreite er sich
von den Zwängen seiner Aufgabe:
    ...’schuldigung, M’sieur“, sagte er wieder. „Ist
nicht gerade lustig. M’sieur...wie war noch der Name?“
    „Burma. Nestor Burma.“
    Er schlurfte zurück in seine Hundehütte, spielte
mit dem Telefon und sagte mir dann, daß und wo M’oiselle Lévyberg mich erwarte.
In der vierten Etage. Ich quälte mich per pedes hinauf. Denn es gab zwar
Lastenaufzüge für die Ware, aber an einen Fahrstuhl für Personen hatte niemand
gedacht. Jedenfalls sagte der unsympathische Portier nichts davon. Egal. Ich
nahm zwei Stufen auf einmal, schon um mir zu beweisen, daß diese Geschichten
vom Altwerden, die mich tags zuvor und eben wieder leicht deprimiert hatten,
einem Nestor Burma nicht ernsthaft was anhaben konnten.
     
    * * *
     
    Esther Lévyberg empfing mich in einem Salon, der
gut und gerne der Verkaufsraum eines Antiquitätenhändlers hätte sein können.
Überall Bilder und wuchtige Möbel aller Stilrichtungen. Bei dieser Art von
Möbeln kostet schon jeder Fuß ein Vermögen. Mich persönlich reizt so was nicht.
Die Bilder gehörten auch nicht zu denen, die mich in Begeisterung versetzen.
Allerdings konnte ich sie nur schlecht sehen. Der Raum — und das machte ihn
nicht freundlicher — lag im Halbdunkel, aus ästhetischen Gründen, die leicht zu
erraten waren. Esther Lévyberg hatte eine Frisur wie Veronika Lake. Ein Wust
schwarzer Haare verdeckte die Gesichtshälfte, die das Feuer entstellt hatte.
Wie am Tag zuvor trug sie ein dunkles Kleid, das mehr an einen Sack erinnerte
als an die Schöpfung eines berühmten Couturiers. Riesengroßes Mitleid überkam
mich, und ich fühlte mich unbehaglich. Ich nahm mir vor, wenig zu reden, aber
viel damit zu sagen. Nachdem ich die üblichen Höflichkeitsfloskeln losgeworden
war, kam ich sofort zum Kern der Sache. Welche Beweise hatte sie für Morenos
Rückkehr? Sie versuchte, um den heißen Brei herumzureden. Das überraschte mich
nicht. Erst einmal bat sie mich, Platz zu nehmen auf einer Art Holzbank, die
bestimmt wertvoller war als die Korbsessel im Café Flore, aber weniger bequem.
Dann läutete sie nach einem Dienstmädchen und ließ Erfrischungen bringen. Sie
erlaubte mir freundlicherweise, Pfeife zu rauchen (was ich auch tat), und erkundigte
sich nach meinen Gebühren. Ich nannte sie ihr.
    „Dann wollen wir erst einmal das regeln“, schlug
sie vor. Sie sprach wie ein Geschäftsmann, der direkt auf sein Ziel losgeht.
    Unter dem Kissen des Sofas, auf dem sie lag, holte
sie ein Bündel Geldscheine hervor und reichte sie mir. Da ich zögerte, murmelte
sie leise:
    „Von Alice haben Sie doch Geld
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