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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen
Autoren: Léo Malet
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begutachtete. Als er unsere Schritte hörte, drehte er sich um. „Guten Tag,
Mademoiselle“, sagte er höflich.
    „Guten Tag, Monsieur Bonfils“, erwiderte sie.
„Ich wußte nicht, daß Sie im Haus sind.“
    „Monsieur Lévyberg hat mich zu sich gebeten.“
    „Ich darf Ihnen Monsieur Bonfils vorstellen,
mein lieber Burma“, sagte Esther. „Ein Freund meines Bruders. Sie haben sich in
einem dieser Lager kennengelernt. Aber er ist auch mein Freund.“
    „Jedermann ist Ihr Freund, Mademoiselle“, sagte
der Mann galant.
    Ein elegant gekleideter Herr in den besten
Jahren, dunkelhaarig, gute Figur; seine leuchtenden Augen in dem gebräunten
Gesicht sahen mich offen an. An einem Ohr trug er ein perlmutternes Hörgerät, dessen
Kabel hinter einem seidenen Ziertüchlein verschwand.
    „Monsieur Burma?“ rief er und reichte mir die
Hand. „Ich glaube, ich habe schon von Ihnen gehört.“
    „Und ich“, lächelte ich zurück, „frage mich, ob
ich Sie nicht schon irgendwo gesehen habe.“
    Sein Blick schien sich ein wenig zu verdüstern.
Auch in seiner Stimme lag eine Spur von Verärgerung.
    „Das sollte mich wundern. Wir bewegen uns nicht
ganz in derselben Welt.“
    „Aber haben uns doch hier getroffen.“
    „Das stimmt“, gab er lächelnd zu.
    Danach wechselten wir noch einige bewährte
Banalitäten und verabschiedeten uns. Esther ging mit mir eine Etage hinunter
und überließ mich dann meinem Schicksal. Auf dem Weg waren wir einem
Angestellten begegnet, der uns spöttisch angesehen hatte.
    Draußen auf der Rue des Jeûneurs mischte ich
mich unter die Menge, die aus ihren Büros und Fabriken strömte, um in der
Mittagspause eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. An der Rue Montmartre warf ich
noch einmal einen letzten Blick auf die fünf Etagen der Firma Berglevy. Ein düsteres,
trostloses Haus, das nach Appretur, neuem Tuch und Staub roch. Ein Haus, in das
ich vielleicht nie mehr zurückkommen würde, so sehr es sich Esther auch
wünschte. Von wegen Sex-Appeal! Warum, abgesehen davon, legte sie so viel Wert
auf meinen Besuch? Höchstwahrscheinlich weil meine Anwesenheit ihren Bruder
ärgerte und sie ihm Unannehmlichkeiten bereiten wollte, systematisch, mit allen
Mitteln. Vielleicht fiel dabei was für Nestor Burma ab; aber zur
Zeit sah ich nicht klar genug, was das sein konnte.
    Während ich so überlegte, sah ich Monsieur
Bonfils direkt auf mich zukommen, so als wollte er mit mir reden. Und
tatsächlich, er sprach mich an, halb vertraulich, halb verlegen: „Ich glaube,
wir sind uns tatsächlich schon mal begegnet, Monsieur Burma, und... ich...
äh...“
    „In der Rue Saint-Denis, hinter einem Wagen. Bei
einer Art Treibjagd.“
    „Ich dachte nicht, daß ich so auffällig bin.
Wohl wegen dieses Geräts...“
    Er tippte an die Schnur seines Hörgeräts.
    „...Ich hab Sie natürlich sofort erkannt...
obwohl Sie heute keinen Revolver in der Hand haben. Verstehen Sie, Sie hatten
meine Neugier geweckt
    „Und Sie haben mir eine schöne Geschichte
eingebrockt. Was haben Sie sich denn dabei gedacht, mich bei den Flics zu
verpfeifen? Die haben mich gleich mitgenommen.“
    „Das war ich nicht“, widersprach er.
„Denunzieren, so was tu ich nicht. Ich war bestimmt nicht der einzige, der Sie
bemerkt hatte...“
    „Reden wir nicht mehr drüber. Es hatte auch
keine schwerwiegenden Folgen.“
    „Gott sei Dank. Ich hoffe, daß es auch für mich
keine haben wird. Schwerwiegend ist vielleicht ein großes Wort, aber
schließlich... Na ja. Kann ich offen mit Ihnen reden? Ich lege auf die
Freundschaft mit Lévyberg großen Wert. Sie ist einträglich für mich. Wir
lernten uns in einem dieser Konzentrationslager kennen. Aber René wird von
altmodischen Vorurteilen beherrscht. Hat nur seine Geschäfte im Kopf und
deshalb panische Angst vor einem Skandal. Wenn er erfährt, daß ich mich in
verrufenen Gegenden herumtreibe... Großer Gott! Der Mann ist aus Holz. Ich nicht.
Und ich bin nicht seine Schwester.“
    „Was hat seine Schwester damit zu tun?“
    „Äh., .nichts. Nichts.“
    Ich ließ nicht locker. Schließlich mußte er
zugeben, natürlich sehr vorsichtig und ungenau ausgedrückt, daß sie Nymphomanin
war, dazu eine notorische Lügnerin. Damit sagte er mir nichts Neues.
    „Mit anderen Worten, ihre Sinne sind wach, nur
der für die Wahrheit nicht.“
    „Ganz genau“, lachte er. „Sehr amüsant, was Sie
da sagen. Werd ich mir merken. Gut. Sie ist ein nettes Mädchen, wohlgemerkt,
aber... Ihre Eskapaden
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