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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen
Autoren: Léo Malet
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Sondertrupp zusammengestellt, nur um die Leichen einzusammeln.“ Faroux brummte
irgendetwas von Pech.
    Kurz darauf verließen wir zusammen das
Polizeirevier. Faroux begleitete mich in die Rue des Petits-Champs, bis zum
Gitter der Bibliothèque Nationale. Dort verabschiedeten wir uns. Ich ging in
mein Büro. Während ich einen beruhigenden Bericht für die Eltern der
Ausreißerin verfaßte, dachte ich an Riton. Dann an Péronnet. Schien ein sehr
begabter Gangster zu sein. Ich kannte ihn nicht. Florimond Faroux hielt das
wohl bei einem Privatdetektiv, der von Berufs wegen über so etwas Bescheid
wissen muß, für eine bedauerliche Bildungslücke. Ich grinste in mich hinein. Zu
dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, daß diese Lücke bald geschlossen werden
würde. Zusammen mit einigen Särgen.

Schatten der Vergangenheit
     
    Zehn Uhr morgens. Pfeiferauchend las ich Zeitung.
Wegen meiner Minderjährigen brauchte ich mir nicht mehr den Kopf zu zerbrechen.
Eins dieser Wochenblättchen mit den rosaroten Liebesgeschichten brachte mich
auf ihre Spur. Hier wurden die Romanzen des Jahrhunderts erzählt, seitenlange
Geschichten von Liebespaaren und dem ganzen Zeug. Toll, diese Kleine! Sie hatte
nur rund zehn Wochen gebraucht, um einen jungen Millionär aufzugabeln, ihn zu
verführen und sich mit großem Brimborium von ihm heiraten zu lassen. So machte
das neuerdings also eine Unschuld vom Lande! Etwas pfiffiger als Nestor Burma,
ohne jemandem zu nahe treten zu wollen. Die besorgten Eltern konnten stolz auf
ihre Tochter sein: sie war keine Nutte geworden, wie sie es befürchtet hatten.
Jedenfalls nicht so eine.
    Ich schob die Zeitungen zur Seite und zündete
meine Pfeife wieder an. Von der Romanze abgesehen, wie üblich nichts über
Péronnet und die Schießerei, die ich mitgekriegt hatte. Seit gut zwei Monaten
sprachen die Zeitungen nicht mehr davon. Schon drei Tage nach dem Drama hatte
man die Sache vergessen. Die Razzien hatten nichts ergeben. Péronnet blieb
unauffindbar, die Untersuchungen waren an einem toten Punkt angelangt. Und ich
ging nicht einfach so aus krankhafter Neugier zu Florimond Faroux. Der hätte
sich noch wer weiß was dabei gedacht. Im übrigen interessierte mich das Schicksal dieser Gangster nicht.
    Durch das offene Fenster drang der Straßenlärm
zu mir in die zweite Etage. Wenn ich tief einatmete, konnte ich beinahe das
Parfüm der eleganten Damen riechen, die aus der Rue de la Paix kamen oder
dorthin gingen. Die Rue des Petits-Champs gehört zu den Straßen von Paris, in
der man die schönsten Frauen sehen kann. Vor allem in der warmen Saison. Ich
hatte genug Zeit gehabt, mich davon zu überzeugen, damals, als...
    Ich hätte besser nicht die Vergangenheit
heraufbeschwören sollen.
    Meine Gedanken wurden von Hélène Chatelain
unterbrochen. Sie öffnete die Verbindungstür, schloß sie vorsichtig wieder
hinter sich, ohne den weißen Porzellanknauf loszulassen.
    „Esther Lévyberg“, meldete meine Sekretärin.
„Sie sagt, daß Sie sie kennen.“
    Ich verzog das Gesicht:
    „Lévyberg? Davon gibt’s bestimmt mehrere Spalten
im Telefonbuch. Genauso wie von Dupont. Vielleicht ist das der Grund, weshalb
so viele Lévys, mit oder ohne Berg, sich zu Dupont umschreiben lassen.
Eigentlich keine Namensänderung. Na gut. Sieht sie nach Lévyberg aus?“
    „Sehr jüdisch, ja.“
    „Häßlich, wie auf antisemitischen Karikaturen?“
    „Nur von einer Seite.“
    „Von hinten?“
    „Machen Sie keine Witze, Chef. Sie trägt einen Schleier,
der ihr Gesicht halb verdeckt. Der Schleier hat sich verschoben, und...“ Hélène
machte ein gequältes Gesicht. „...Die eine Hälfte des Gesichts ist furchtbar
verbrannt. Die andere Hälfte ist sehr hübsch.“
    „Bitten Sie sie herein“, sagte ich. „Ich nehm
dann eben die hübsche Hälfte, wenn ich überhaupt was nehmen darf.“
    Hélène zuckte die Achseln, öffnete die Tür weit
und sagte:
    „Bitte, Madame.“
    Dann trat sie zur Seite, um die Besucherin
reinzulassen. Ich stand auf und begrüßte sie.
    Sie hatte die Vierzig knapp überschritten,
wirkte jedoch älter. Wie viele Frauen ihrer Rasse ging sie sehr in die Breite.
Ihr Büstenhalter hatte alle Hände voll zu tun. Häßliche Falten furchten ihre
Stirn und verlängerten die vollen Lippen. Ihre Gesichtszüge aber waren, soweit
man sie sehen konnte, immer noch von vollkommener Reinheit. Der Blick ihrer
Rehaugen war etwas verstört. Sie trug ein teures dunkles Kostüm,
gutgeschnitten, aber von gewisser
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