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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel
Autoren: Andreas Götz
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Mareike ihn ansah, war zugleich heiß und eiskalt. »Aber wie soll jemand wie du das verstehen. So ein gut aussehender Typ, den man einfach mögen muss und in den alle Mädchen verknallt sind.«
    Dass alle Mädchen in ihn verknallt waren, war ihm neu. Wie kam sie darauf?
    »Ich hätte das wirklich gerne viel schöner gehabt«, sagte sie nun. »Die romantische Stimmung hier mit all den Kerzen, wir schauen uns in die Augen und prosten uns zu, und dann sehe ich mir an, wie du stirbst, und wenn du tot bist, folge ich dir. Und wir sind für immer vereint.«
    Wenn du tot bist
– Worte, die sich einschnitten wie Rasierklingen. Das also war ihr Plan gewesen, und es sah nicht so aus, als wollte sie davon ablassen.
    »Wehr dich nicht, Sascha. Es geht wirklich schnell. Du musst nur einen großen Schluck nehmen.« Sie schraubte die Cola-Flasche auf.
    »Ich werde das nicht trinken!« Er wollte schreien, doch er brachte nur ein heiseres Flüstern heraus.
    »Und ob du das trinken wirst.« Sie hielt den Elektroschocker hoch. »Wenn ich dir mit diesem Gerät hier eins verpasse, bist du lange genug gelähmt, damit ich dir die Cola einflößen kann.«
    Mist! Sie durfte ihn auf keinen Fall noch mal mit dem Elektroding erwischen. Als sie sich ihm näherte, begann er nach ihr zu treten, traf sie auch am Oberschenkel. Sie schrie kurz auf, wohl mehr vor Schreck als vor Schmerz, und wich zurück. Nur eine winzige Atempause, das war ihm klar.
    Da erklang von draußen ein Rufen: »Sascha! Sascha! Wo bist du?«
    Joy! Sein Herz machte einen gewaltigen Satz. Sie war am Leben! Sie war hier!
    Die Angst wich, neuer Mut beflügelte ihn. »Ich bin im Bauwagen, Joy!«, schrie er aus Leibeskräften. »Hörst du mich? Mach schnell!«
    »Ich komme!«
    Mareike stand irritiert da, überlegte angestrengt. Ein Moment der Unaufmerksamkeit, den Sascha nutzte. Mit einem gezielten Tritt schlug er ihr die Cola-Flasche aus der Hand. Sie flog in hohem Bogen in einen Haufen Decken und Kissen. Mareike sprang hinterher, suchte und fand sie. Doch es war zu spät. Die Flasche war leer.
    Zornig warf Mareike sie in Saschas Richtung. »Glaub bloß nicht, dass dich das vor irgendwas bewahrt.« Sie trat ihn ein paarmal, doch sie konnte so viel treten, wie sie wollte, seiner Hoffnung konnte sie nichts anhaben.
    »Joy, schnell!«, rief er.
    »Halt dein dummes Maul!« Mareikes Wutausbruch täuschte nicht darüber hinweg, dass sie ratlos war, was sie jetzt tun sollte. Schließlich steckte sie den Elektroschocker ein, hastete zur Tür, öffnete das Schloss und verließ den Bauwagen. Sascha hörte, wie sie das Schloss draußen wieder vorlegte.
    »Joy!«, schrie er. »Sie kommt zu dir! Pass auf! Sie kommt!«
    Joy antwortete nicht. Auch sonst kein Laut.
    Da fiel ihm auf, dass zwischen einzelnen Brettern des Bauwagens dünne Lichtstreifen zu sehen waren. Hier hatte der Zahn der Zeit kräftig am Holz genagt. Er erinnerte sich wieder, wie verfallen der Wagen von außen gewirkt hatte. Vielleicht reichte ja rohe Gewalt.
    Er schob sich zu der Stelle der Wand, die ihm am brüchigsten erschien, und trat mit beiden Beinen so fest er konnte dagegen. Morsches Knirschen. Zweiter Versuch. Noch immer hielten die Bretter. Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus. Nächster Versuch. Krachen. Wieder nichts. Er hielt inne. Woher kam auf einmal der penetrante Gestank? Er schaute sich um. Rauch stieg aus einem Kissen auf. »Scheiße!«, zischte er. Feuer! Als er zur Wand gerobbt war, musste eine Kerze umgefallen sein. Die Flammen wuchsen schnell, der Qualm stach ihm heftig in die Nase. Wie lange würde er wohl noch Luft kriegen? Verdammte Bretter, dachte er und trat erneut gegen die Wand, brecht endlich!

46
    DAS KNIE SCHMERZTE noch immer heftig, aber Joy konnte damit zumindest gehen. Oder eher humpeln. So, wie es sich im ersten Moment angefühlt hatte, hätte es schlimmer sein können. Sie schaute sich um, zwischen den Rohren, die herumlagen wie überdimensionale Mikadostäbe. Hier musste sich doch irgendwas finden, das sich als Waffe gebrauchen ließ. Ah, da! Dieses kurze Stück Rohr würde den Zweck erfüllen. Noch immer wacklig auf den Beinen, verließ sie den Keller.
    Mit zusammengekniffenen Augen, denn das grelle Tageslicht blendete, schaute sie sich um. Wo war Sascha? Lebte er überhaupt noch? Allein der Gedanke, dass er tot sein könnte –
    Verboten, dachte sie, solche Gedanken sind verboten. Er lebt. Es geht ihm gut. Wo immer er ist, ich hole ihn da raus. Angestrengt lauschte sie. Außer ein
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