Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel
Autoren: Andreas Götz
Vom Netzwerk:
schönen, großen Augen wurden noch ein bisschen größer und schöner. »Echt? Das ist ja abgefahren. Malst du, oder was machst du?«
    »So was in der Art. Ich zeichne. Comics, hauptsächlich.«
    »Wirklich? Ich liebe Comics! Darf ich mal was von dir sehen?«
    »Klar.«
    »Wenn du nichts dagegen hast, komm ich gleich zu dir rüber.«
    »Kein Problem.«
    Bingo! Saschas Herz schwappte fast über vor Glück. Das war ja besser gelaufen als erwartet. Joy in seinem Zimmer – nicht auszudenken!
    Sie waren auf ihrem Stockwerk angekommen. Joy steckte den Schlüssel, den sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, ins Schloss. »Gib mir fünf Minuten«, sagte sie.
    »Ich lass die Tür angelehnt. Brauchst nicht zu klingeln. Komm einfach rein.«
    Künstler, dachte er nervös, als er wenig später in seinem Zimmer hektisch die schmutzigen TShirts, Socken und Shorts beseitigte. Eigentlich war das ganz schön übertrieben. Zeichnen war immer bloß ein Hobby gewesen. Aber es gab nun mal nicht so viele Dinge, mit denen er ein Mädchen, noch dazu ein so tolles und mehr als ein Jahr älteres, beeindrucken konnte.
     
    UND JOY WAR beeindruckt. Wie sie seine Zeichnungen Blatt für Blatt betrachtete, manche davon richtig lange, nährte Saschas Hoffnungen. Obwohl er von keinem Fall wusste, in dem ein Mädchen sich wegen dessen künstlerischer Fähigkeiten in einen Jungen verliebt hatte, schon gar nicht, wenn es dabei um Superhelden-Comics ging. Aber Joy, das hatte er schon jetzt verstanden, war nicht wie die anderen Mädchen, die er kannte. Vielleicht funktionierte es bei ihr ja. Vielleicht war es ihr auch völlig egal, wie alt ein Junge war. Oder wie erfahren. Er schluckte schwer.
    »Die sind toll«, sagte Joy schließlich. »Du hast echt was drauf.«
    Sascha lächelte verlegen und zuckte die Schultern.
    »He, was ist das denn?« Sie sprang auf und lief zum Schrank. »Sag bloß, du bist auch noch musikalisch!«
    Sie zog die Gitarre aus der Lücke zwischen Schrankwand und Mauer hervor, in der sie seit vielen Monaten verstaubte.
    »Nur ein bisschen«, sagte er, »und ich hab schon lange nicht mehr gespielt.«
    »Keine Ausreden! Spiel was!« Joy hielt ihm die Gitarre hin.
    Er setzte sich damit auf die Bettkante und fing an, die Saiten zu stimmen. Seit dem Tod seines Vaters hatte er die Gitarre nicht mehr angefasst. Joy platzierte sich vor ihm auf den Boden und schaute ihn erwartungsvoll an. Er musste nicht lange überlegen, was er spielen könnte:
Father and Son
von Cat Stevens. Das hatte ihm sein Vater beigebracht, und das konnte er am besten. Er fing an, und es fühlte sich fremd und vertraut zugleich an, diese Worte nach so langer Zeit wieder zu singen. In der zweiten Strophe deutete Joy auf ihren Unterarm. Er wusste erst nicht, was das bedeuten sollte, aber dann sah er, dass sie eine Gänsehaut hatte. Und sofort kriegte er auch eine. Aber nicht so sehr wegen des Song.
    In diesem Moment wurde die nur angelehnte Tür aufgeschoben, und mit einem Mal stand seine Mutter vor ihm. Als sie Joy erblickte, verschwand ihr Lächeln sofort. Sie sah zwar nicht schockiert aus, aber auch nicht wirklich erfreut. Zweifellos fragte sie sich, was hier abging. Dennoch war sie taktvoll genug, gleich wieder den Rückzug anzutreten und die Tür hinter sich zuzuziehen.
    »Ups«, sagte Joy.
    Sie mussten beide lachen.
    Sascha spielte noch ein paar Takte, dann stellte er die Gitarre weg. Dass seine Mutter in der Wohnung war, machte ihn nervös.
    »Ich geh dann mal«, sagte Joy sofort. »Darf ich mir ein paar von deinen Geschichten mitnehmen? Ich finde die echt cool.«
    Sascha fühlte die Hitze in seinen Wangen, zuckte aber lässig die Schultern. »Kein Problem.«
    Er holte eine leere Mappe und ging vor ihr in die Hocke. »Welche willst du?« Sie ließ ihren Blick über die Blätter, die um sie herumlagen, schweifen und griff ein paar heraus. Als sie auch eine von den uralten nahm, die eher versehentlich unter ihre Augen gekommen waren, fiel er ein und zog sie ihr sanft aus der Hand. »Die nicht!«
    »Warum nicht? Die fand ich besonders schön.«
    »Die sind doch total kindisch.«
    »Quatsch. Ich find sie witzig. Aber gut, du bist der Künstler.«
    Sie klappte die Mappe zu, und er brachte sie an die Tür.
    »Am Wochenende soll’s heiß werden«, sagte Joy. »Vielleicht können wir schwimmen gehen.«
    »Wär super.«
    »Okay. Bis dann.«
    »Bis dann.«
    Die Tür ging auf und wieder zu, und weg war sie. Zurück blieb ein süßer Schmerz in Saschas Brust. Joy und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher