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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel
Autoren: Andreas Götz
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möglich ab. »Gar nichts.«
    Ein Grab. Der kleine Hügel war ein Grab gewesen. Das Grab eines toten Mädchens. Auf dem Zettel hatte ihr Name gestanden, in dicken, schwarzen Buchstaben:
Sarah
.
     
    DAS ROTE CABRIO schoss mit hochdrehendem Motor an Sascha vorbei. Dann flammten die Bremslichter auf, und das Auto kam genau vor seinem Haus zum Stehen. Erst auf den zweiten Blick bemerkte er, wer die junge Frau auf dem Beifahrersitz war. Er erkannte sie an den dunklen Schultern unter dem Trägertop und der unnachahmlichen Art, wie das Haar hochgesteckt war. Doch wer war der Typ am Steuer? Raspelkurze, schwarze Haare, markantes Profil – mehr konnte Sascha aus der Entfernung nicht sehen. Und mehr brauchte er auch nicht zu sehen. Das war definitiv ein Mann und kein kleiner Junge. Wie beiläufig er den Ellbogen auf die Lehne des Beifahrersitzes stützte und dabei mit der Hand scheinbar zufällig Joys Schulter berührte. Worüber quatschten die beiden bloß? Anscheinend fiel es ihm nicht schwer, Joy zu unterhalten, denn sie wirkte total locker, lachte oft und laut. Nach einer Weile holte sie eine große Tasche vom Rücksitz, küsste den Typen auf den Mund und stieg aus. »Wow«, entfuhr es Sascha, als er sie in dem Minirock und dem bauchfreien Top sah. Von der Haustür aus warf sie dem Cabrio-Fahrer noch eine Kusshand zu, dann war sie weg.
    Sascha wartete, bis das Auto an der nächsten Einfahrt gewendet hatte und die Straße herunterkam. Kacke, dachte er, als er den Kerl am Steuer aus der Nähe sah, so wie der Typ aussieht, würde er in jeden Werbespot für Rasierwasser passen. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich auch auf ihn abfahren.
    Unruhig tigerte Sascha durch die Wohnung. Dreizehn Monate, dachte er. Wenn Joy im Dezember achtzehn wird, bin ich viereinhalb Wochen lang sogar zwei Jahre jünger als sie. Aber selbst ohne die dreizehn Monate hätte er gegen Mr. Rasierwasser keine Chance gehabt. Man musste der Realität ins Auge sehen: Künstler hin oder her, Joy war eine Frau – und was für eine! – und er bloß ein unerfahrener Junge. Er lief außer Konkurrenz. Sonst hätte sie ihm doch wohl gleich gesagt, dass sie einen Freund hatte.
    Es klingelte. »Mach du auf, Sascha«, rief seine Mutter aus dem Bad. Er ging zur Tür und öffnete. Es war Joy. Sie hatte sich umgezogen. Sweatshirt und Cargohose. Anscheinend gut genug für ihn. »Was willst du?«, fragte er schroff.
    »Hä? Was ist denn mit dir los?« Er ignorierte ihren schiefen Blick und die Frage. Nach ein paar Sekunden fuhr sie fort: »Ich mach Spaghetti bolognese, aber Parmesan ist alle. Habt ihr zufällig noch welchen?«
    Wortlos ging er voraus in die Küche, wo er ein Stück Parmesan aus dem Kühlschrank holte und ihr reichte.
    »Super. Danke. Wenn du willst, kannst du mitessen.«
    »Nee, hab keinen Hunger.«
    Sie legte den Kopf schräg und sah ihn aus ihren großen, dunklen Augen an. »Is’ was mit dir? Du bist so … komisch.«
    Er schüttelte den Kopf. »Alles bestens.« Was sollte er auch sonst sagen? Er hatte keine Lust, sich lächerlich zu machen. Es reichte, wenn er selbst wusste, was für ein Vollidiot er war.
    »Ach ja, Sascha, da fällt mir ein … Sonntag, Baden, das klappt.«
    »Sonntag? Sorry, da hab ich schon eine andere Verabredung. War ja nicht fest ausgemacht, oder?«
    »Nee, war’s nicht. Aber schade. Ich hab mich schon gefreut.« Sie sah wirklich enttäuscht aus.
    »Kannst ja mit jemand anders gehen.« Oder hat dein Stecher am Sonntag etwa keine Zeit für dich?, ergänzte er in Gedanken und kniff die Lippen aufeinander.
    »Ist echt alles okay?«
    »Klar.«
    Er wusste selbst, dass das Lächeln, das er aufsetzte, nur wie eine Grimasse aussehen konnte.
    »Na dann.«
    Die Hände in den Hosentaschen, ging er hinter ihr her zur Tür. In ihm war ein Verlangen, gemein zu ihr zu sein, aber er wusste nicht, wie.
    »Ach, übrigens«, sagte er schließlich, »meine Zeichnungen, die du hast …«
    »Was ist damit?«
    »Wenn du sie nicht mehr brauchst, dann …«
    »Eigentlich würde ich sie gerne noch ein wenig behalten. Ich schau sie mir jeden Tag an.«
    »Ha, ha.«
    »Nee, wirklich. Aber wenn du sie unbedingt wiederhaben willst. Sind ja deine.«
    Jetzt tat es ihm wieder leid. Was sollte der Quatsch? Er benahm sich echt wie ein kleiner Junge. »Nee, nee, schon okay«, ruderte er zurück, »ich dachte nur …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Also, du bist heute wirklich schräg drauf, Sascha.«
    »Man sieht sich.«
    Er blieb hinter der geschlossenen
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