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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel
Autoren: Andreas Götz
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übrigens Joy.« Während sie redete, schraubte sie weiter an ihrem Fahrrad herum. »Bist du immer so schweigsam?«
    Er räusperte sich, überlegte, worüber er mit ihr reden könnte, doch sein Kopf war wie vernagelt. »Cooles Rad«, sagte er schließlich, obwohl er von Fahrrädern null Ahnung hatte.
    »Eigentlich nicht. Gibt viel bessere.«
    »Klar. Gibt es immer.«
    Sie richtete sich auf, steckte das Werkzeug in die Seitentasche ihrer Cargohose und übernahm den Lenker. Ihre Hände lagen so dicht neben seinen, dass sie sich fast berührten.
    »Du kannst jetzt loslassen, Sascha. Ich muss ’ne Probefahrt machen.«
    Widerwillig löste er seine Hände vom Lenker. Sein Leben kam ihm neben ihrer Unbeschwertheit plötzlich so abgestanden vor. Nur zu gerne hätte er die bleierne Schwere, die ihm in den Knochen saß, abgeschüttelt, wenigstens für ein paar Stunden oder auch nur Minuten.
    Joy stieg auf ihr Rad und fuhr los. »Wir sehen uns«, rief sie, und es klang in seinen Ohren wie ein Versprechen.

3
    SO EIN MIST, dachte Sascha. Da brauchte man mal einen vollen Mülleimer, und was war? Gähnende Leere. Er riss den Brotkasten auf. Ein paar trockene Scheiben, immerhin. Die Äpfel in der Obstschale sahen auch schon ein bisschen verschrumpelt aus. Weg damit. Waren die beiden Bananen nicht überreif? Rein in den Abfall. Schon hörte er nebenan die Tür erst aufgehen und dann mit einem lauten Knall zuschlagen. Er schnappte sich den Eimer und verließ die Wohnung. Unter ihm, irgendwo auf der Treppe, klatschten Flip-Flops. Und in der Luft hing noch der Duft von Pfirsichshampoo.
    Ich lade sie einfach ein, dachte er, während das Herz ihm bis in den Hals pochte, ganz beiläufig, so als würde es mir gerade eben erst einfallen.
    Als er in den Hof kam, kämpfte Joy gerade mit dem Deckel des Müllcontainers, der wie immer klemmte. Sie trug knallenge Leggins und ein locker sitzendes Träger-Shirt, und sie sah verdammt gut darin aus. Er nahm sich einen Moment, um sie zu betrachten.
    »Warte«, rief er dann, »ich helf dir.«
    Joy wandte den Kopf. »So ein Glück«, sagte sie.
    Glück – von wegen! Durch die offenen Balkontüren hatte Sascha gehört, wie Joys Mutter ihr befahl, den Müll runterzubringen. Seit Tagen lauerte er auf so eine Gelegenheit. Tage und Nächte, in denen er viel zu viel an Joy gedacht hatte. Jener eigentlich belanglose Moment, in dem er ihr Rad gehalten hatte, kam ihm immer mehr vor wie der vergoldete Anfang von irgendwas. Er wusste nur noch nicht, von was.
    »Wegen dem bisschen Müll rennst du extra runter?«, fragte sie, als sie den kümmerlichen Inhalt seines Eimers sah.
    »Biomüll fängt bei der Hitze doch so schnell an zu stinken«, erklärte er rasch, »außerdem zieht er diese kleinen Fliegen an, und die hasse ich.«
    Sascha stemmte den Deckel des Müllcontainers hoch. Joy warf ihre zum Platzen volle Tüte hinein, Sascha leerte seinen Eimer. Hatten ihre nackten Arme sich wirklich berührt, oder bildete er sich das nur ein?
    »Muss Biomüll nicht da rein?« Sie deutete auf die braune Tonne.
    Er grinste. »Zu spät.«
    Gemeinsam gingen sie zurück ins Haus. Es war höchste Zeit, etwas zu sagen. Doch er hatte alle Gesprächsthemen, die er sich zurechtgelegt hatte, vergessen. Zum Glück brauchte er sie auch nicht, denn Joy sagte: »Ist deine Mutter wirklich bei der Kripo?«
    »Woher weißt du das?«
    »Meine Mutter hat es irgendwo aufgeschnappt.«
    Ob sie das von seinem Vater auch schon wusste? Wahrscheinlich. Er hoffte nur, dass sie es nicht ansprach. »Das ist gar nicht so aufregend, wie man denkt«, sagte er. »Was macht denn deine Mutter?«
    »Total öde. Sie ist Lehrerin. In der Schule ist sie angeblich richtig cool. Als Mutter kann sie dafür ziemlich nerven. Na ja, nicht mehr lange. Ende Dezember werde ich achtzehn, dann ziehe ich aus.«
    BUMM ! Das saß. Achtzehn – also über ein Jahr älter als er! Wie sollte ein praktisch total unerfahrener Junge das wettmachen? Das war ungefähr so aussichtsreich, wie barfuß auf den Mount Everest zu steigen.
    »Und wo willst du hinziehen?« Sascha versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Weiß nicht. Möglichst weit weg. Nicht wegen meiner Mutter, so schlimm ist sie auch wieder nicht. Aber man muss doch mal was Neues kennenlernen, oder?«
    »Klar.«
    »Und du? Was hast du später vor?«
    »Keine Ahnung.« Dann fiel ihm doch etwas ein. Etwas, das sie vielleicht beeindrucken würde. »Ich wäre gerne Künstler.«
    Ihre
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