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Stirb ewig

Titel: Stirb ewig
Autoren: Peter James
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Anklagebank aus dunklem Holz und einen Zeugenstand mit hölzerner Balustrade. Den Vorsitz führte Richter Driscoll mit seiner Perücke, der das Verfallsdatum längst überschritten hatte und in seinem leuchtend roten Stuhl zu schlafen schien, über sich das Wappen mit der Inschrift Dieu et mon droit. Der ganze Raum sah aus wie eine Theaterkulisse und roch wie ein altes Klassenzimmer.
    Als Grace in den Zeugenstand trat – wie immer, wenn er vor Gericht erscheinen musste, adrett in blauem Anzug, weißem Hemd, mit dezenter Krawatte und polierten schwarzen Schnürschuhen – sah er besser aus, als er sich tatsächlich fühlte. Zum Teil war dies auf Schlafmangel wegen seiner Verabredung vom Vorabend zurückzuführen, die sich als katastrophal erwiesen hatte, aber er war auch schlichtweg nervös. Er rasselte, die Bibel in der Hand, zum vielleicht tausendsten Mal den Eid herunter und schwor bei Gott, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, wobei er sich verstohlen umsah.
    Die Geschworenen glichen wie immer einem Haufen Touristen, der auf einem Busbahnhof gestrandet ist. Eine unordentliche, wild zusammengewürfelte Gruppe mit farbenfrohen Pullovern, offenen Hemden und zerknitterten Blusen, darüber ein Meer aus leeren, weißen Gesichtern in Zweierreihen, vor sich Wasserkaraffen, Gläser und einen Wust aus Notizblöcken und losen Blättern. Neben dem Richter stand ein Turm, bestehend aus einem Videorekorder, einem Diaprojektor und einem riesigen Tonbandgerät. Die Stenographin spähte streng hinter einer Batterie elektronischer Apparate hervor. Auf einem Stuhl drehte sich ein Ventilator träge hin und her, ohne die stickige Nachmittagsluft wesentlich zu verbessern. Auf der Besuchergalerie drängten sich Presse und Publikum, nichts lockte die Leute mehr an als ein Mord. Und dies war der Lokalprozess des Jahres.
    Der große Triumph von Roy Grace.
    Auf der Anklagebank saß Suresh Hossain, ein fleischiger Mann mit pockennarbigem Gesicht und ölig zurückgekämmtem Haar, der einen braunen Nadelstreifenanzug und eine purpurne Satinkrawatte trug. Er folgte dem Verfahren mit lakonischem Blick, als gehörte ihm der ganze Saal und als diente der Prozess einzig seiner persönlichen Unterhaltung. Kotzbrocken, Arschloch, Slum-Vermieter. Seit über zehn Jahren war Roy Grace hinter ihm her und hatte ihn nun endlich vor Gericht gezerrt. Mordverschwörung. Das Opfer war ein ebenso unappetitlicher Konkurrent, Raymond Cohen. Wenn dieser Prozess wie erhofft lief, würde Hossain zu einer Strafe verdonnert, die über der seiner Lebenserwartung lag, und mehrere hundert Bürger von Brighton and Hove würden das Leben in Wohnungen genießen, die vom hässlichen Schatten seiner Handlanger befreit waren, die ihnen das Leben zu Hölle gemacht hatten.
    In Gedanken wanderte er zurück zum letzten Abend. Claudine. Claudine Lamont, so ein Mist. Sicher, es war nicht hilfreich gewesen, dass er mit eindreiviertel Stunden Verspätung zum Rendezvous erschien. Aber es war auch nicht hilfreich gewesen, dass ihr Foto auf der Webseite gut zehn Jahre alt war und sie vergessen hatte, sich als abstinente, vegane Polizistenhasserin zu outen, deren einziger Lebenssinn in der Sorge für ihre neun Katzen zu bestehen schien.
    Grace mochte Hunde. Er hatte auch nichts gegen Katzen, konnte aber keinen Draht zu ihnen finden, während er mit Hunden sofort Freundschaft schloss. Nach zweieinhalb Stunden in einem schäbigen veganen Restaurant in Guildford, in dem sie ihn abwechselnd über den freien Geist der Katzen, die Unterdrückung durch die britische Polizei und durch Männer, die Frauen ausschließlich als Sexobjekte betrachteten, belehrt hatte, trat er nur zu gern die Flucht an.
    Er hatte schlecht geschlafen und den ganzen Tag im Gericht herumgehangen, bis man ihn aufrief, und nun sollte er sich den nächsten Sermon anhören. Es regnete noch, die Luft war warm und feucht. Grace spürte, wie ihm ein Rinnsal den Rücken hinunterlief.
    Nun folgte der Auftritt des Kronanwalts der Verteidigung, der ihn überraschend als Zeugen geladen hatte. Arrogante Haltung, graue Perücke, wallende schwarze Seidenrobe, die Lippen zu einem bemühten Grinsen verzogen – Richard Charwell, Queens Counsel. Grace war ihm schon einmal begegnet, und es waren keine glücklichen Stunden gewesen. Er verabscheute Anwälte. Für sie war das alles ein Spiel. Sie mussten nie ihr Leben riskieren, um die Schurken zu fangen. Und sie kümmerten sich keinen Deut um die Verbrechen,
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