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Stine

Stine

Titel: Stine
Autoren: Theodor Fontane
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Kunstinstitut erwarten?«
    »Unser Alter«, erwiderte Wanda, »will es mit einem Ausstattungsstück versuchen. Er meint, es sei noch das einzige...«
    »Da hat er recht. Ist es eine Reise nach dem Mond oder in den Mittelpunkt der Erde?«
    »Hoffentlich das letztere«, warf der alte Graf ein. »Ich bin für Mittelpunkte.«
    Wanda lächelte. Das Eis war gebrochen, und es wurde ihr von diesem Augenblick an einigermaßen schwer, in einem öden, weil wenigstens zunächst noch unpersönlich verbleibenden Kunstgespräch weiter fortzufahren. Sie bezwang sich aber und sagte, während sie nur dann und wann den alten Grafen verständnisvoll streifte: »Wegen Beschaffung eines Textes hat sich der Alte natürlich kein graues Haar wachsen lassen. Er bleibt bei seiner Abneigung, für Dinge zu zahlen, die man umsonst haben kann, und glaubt, wie mein Kollege Pöltrig sagt, der übrigens studiert hat, anstandslos in das Gebiet der Dichtung übergreifen zu können. Unser Alter ist überhaupt der Mann der Übergriffe, woran ich immer nur mit Unwillen denken kann.«
    »Empörend«, sagte der alte Graf. »Übrigens ahn ich bereits, an welche Tür er geklopft haben wird. Wohl zu verstehen: an welche Dichtertür. Ich wette zehn gegen eins: Shakespeare...«
    »Der Herr Graf treffen immer ins Schwarze. Ja, das ›Wintermärchen‹, und mir ist die Hauptrolle zugefallen, die der Hermióne, von der ich vorläufig nur weiß, daß ich eine ganze Szene lang auf einem Postamente stehe, ganz schmucklos, aber doch was Weißes um.«
    Sarastro lächelte. »Diese Besetzung der Rolle kann niemand überraschen, und Sie, mein gnädigstes Fräulein, wenn Sie nicht blind gegen Ihre so deutlich hervortretenden Gaben und Vorzüge sind, am wenigsten. Die Natur hat Sie
zu
glücklich ausgestattet, als daß das Marmorbräutliche, das hier beinahe ausschließlich in Frage kommt, an Ihnen vorübergehen konnte. Wenn ich mir Sie so denke, ganz Stein, und mit einem Male durchdringt Sie das warme, pulsierende Leben, alles wogt, und in rötlicher Beleuchtung steigen Sie vom Sockel hernieder, um wieder Mensch unter Menschen zu sein, ein erhabener Gedanke...«
    »Der Herr Graf schmeicheln. Es ist eine Rolle, die durchaus Jugend fordert, ja, mehr als Jugend, ich möchte sagen dürfen, Jugend und Zartheit...«
    »Eigenschaften, die Sie sich in übergroßer Bescheidenheit nur absprechen, um unseres heftigsten Widerspruchs sicher zu sein. Hermióne, soviel mir vorschwebt, ist schon zu Beginn des Stücks Gattin und Mutter, zudem auf Untreue verklagt, Ereignisse, die doch nur ausnahmsweise vor das vierzehnte Lebensjahr fallen. Ich bitte Sie, was heißt jung, und vor allem, was heißt zart. Es wird mit diesem Worte ›zart‹ ein beständiger Mißbrauch getrieben, und alles, was bleich oder schwindsüchtig ist, das ist sicher, als zart bezeichnet zu werden. Eine der vielen Verirrungen unseres modernen Geschmacks. Zart, zart; zart ist etwas Innerliches, Seelisches, das auch innerhalb einer vollsten Formengebung existieren kann. Fragen Sie meinen Neffen. Er reist seit fünf Jahren in Italien umher, namentlich in Kirchen, und kennt, schlecht gerechnet, fünftausend Heilige weiblichen Geschlechts. Und was heilig ist, muß doch auch zart sein. Und nun soll er uns Rede stehen über den Begriff der Zartheit. Ich will seinem bessern Urteile nicht vorgreifen, aber ich wage vorweg die Behauptung, alles, was er von heiligen Cäcilien und Barbaras und selbstverständlich auch von Genovevas, die immer die Hauptsache bleiben, gesehen hat – alle waren Damen von Ihrer Konstitution, meine Gnädigste, Damen, denen alles Mondscheinene fehlte, Damen in schwarzem Sammet und roter Rose. Waldemar, ich bitte dich dringend, unterstütze mich in einer Sache, die meinem Herzen und meinem Kunstgefühl gleich viel bedeutet.«
    Er stieß mit Wanda an und hatte die Freude, daß Waldemar auf den angestimmten Ton einging und unter verbindlichem Lächeln versicherte: Der Onkel habe recht; alle Heiligen seien wohlproportioniert, und auch das Zarteste könne sich noch innerhalb der Wellenlinie...
    »Brav, brav«, unterbrach hier der Graf. »Und so bitt ich denn, die Gläser zu füllen, um auf das Wohl Hermiónens zu trinken – eine von Fräulein Wanda bevorzugte Akzentverschiebung, die mir eine ganz neue Auffassung verspricht. Denn die Akzente machen's im Leben und in der Kunst. Es lebe die Kunst, es lebe das Zarte, es lebe die Wellenlinie, vor allem, es lebe Hermióne-Hermióne, es lebe Fräulein Wanda, es lebe
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