Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition)
Autoren: James Sallis
Vom Netzwerk:
einen doppelten Bourbon, putzte ihn in genau einer Minute weg, ließ einen Zehner auf dem Tresen liegen.
    Corene war also eine weiße Nutte geworden, beziehungsweise dazu gemacht worden, dachte ich, als ich gegen den dichten Feierabendverkehr in Richtung Uptown zum Blue Doors fuhr. Es sind schon seltsamere Sachen passiert. Tagtäglich.
    Der Typ hinter dem Tresen hieß Eddie, ein Ex-Knacki. Walsh zuliebe hatte ich als Zeuge in dem Prozess ausgesagt, bei dem er zum zweiten Mal verdonnert wurde. Noch einmal, und er fuhr endgültig ein.
    »Hallo, Mister Griffin«, sagte er, als ich reinkam.
    »Reißt du dich am Riemen, Eddie?«
    »Bin brav wie ’n Pfarrer, können Sie jeden fragen. Sonntagsschule, Gebetsstunden. Rein wie der Regen.« Er schaute zu dem großen Fenster. »Apropos«, sagte er, »regnet’s schon?«
    Ein paar Tropfen klatschten an das Glas und Wolken zogen auf.
    »Noch nicht.«
    »Ist der einzige Haken an New Orleans. Es regnet jeden Tag.« Er ging zum andern Ende der Bar und bediente einen Gast, der gerade reingekommen war. Dann kam er wieder zurück. »Kann ich irgendwas für Sie tun, Mister Griffin?«
    »Ich suche ein Mädchen, Eddie.«
    »Machen wir doch alle.«
    »Nennt sich Blanche. Eine Nutte. Schon mal hier gesehen?«
    »Blanche. Hmmm, mal sehn. Etwa eins achtundsechzig groß, sieht klasse aus?«
    Ich nickte.
    »Das müsste Long Johns Mädel sein. Hat zweimal ihre Freier hergebracht. Ist erst ’ne Woche auf der Straße, höchstens zwei. Ein frisches Pferd, wissen Sie?«
    Jetzt suchte ich also zwei Menschen.
    »Wie sieht dieser Long John aus?«
    »Ein schlimmer Finger. Richtig finsterer Knochen. Eins neunzig, eins dreiundneunzig groß, über zwei Zentner schwer. Trägt ständig ’n gelben Anzug. Nie Synthetik, immer Baumwolle. Sagt, Baumwolle is das Erbteil des amerikanischen Negers. Schwer auf Gift.«
    »Und wo könnte ich ihn finden?«
    »Im Café du Monde oder im Joe’s wahrscheinlich.«
    »Danke, Eddie. Bleib sauber.«
    »Bin ich doch, oder etwa nicht? Blank wie Seide.«
    Ich fragte mich, was Eddie für besondere Gäste unter dem Tresen liegen hatte.

10
    Weil ich nicht noch mal in den Verkehr geraten wollte, schnappte ich mir ein Taxi nach Downtown und ließ mich an der Canal Street absetzen.
    Auf dem Gehsteig vor Werlein’s rottete sich eine Menschenmenge zusammen, die sich zwischen den schwarzen Klavieren und glänzenden Blechblasinstrumenten im Schaufenster spiegelte. Ich ging hin, hörte aufgeregte Kommentare, Fragen, Schimpfworte.
    »Der hat überhaupt nicht damit gerechnet.«
    »Ich hab’s gesehen, ich hab alles gesehen.«
    »Muss irgendwie böses Blut zwischen den zweien gegeben haben.«
    »Einfach so, und schon isses vorbei.«
    »Hat schon jemand die Polizei gerufen?«
    Einer der Männer – beide waren schwarz – lag in einer schimmernden Lache aus Blut und Urin auf dem Gehsteig. Er hatte eine klaffende Wunde in der Brust, wo die Kugel eingedrungen war. Bei jedem Atemzug flatterte der blutverkrustete Stoff rund um das Einschussloch. Dann brachen seine Augen, und das Hemd bewegte sich nicht mehr. Er hatte es hinter sich.
    Ein anderer Mann, etwa genauso alt, stand über ihn gebeugt, ließ die Hand mit der Knarre schlaff runterhängen und murmelte immerzu irgendwas vor sich hin. Es klang wie »Ich hab’s ihm doch gesagt. Ich hab’s ihm doch gesagt«. So als ob er (dachte ich, als ich in Richtung French Quarter ging) jahrelang taub und stumm gewesen war und endlich seine Sprache wiedergefunden hatte, all das sagen konnte, was er wollte.
    Als ich viele Jahre später bei Beaucoup Books stand und in einer der Illustrierten, in denen ich dort von Zeit zu Zeit blätterte, ein Gedicht las, hatte ich die Szene, an die ich jahrelang nicht mehr gedacht hatte, mit einem Mal wieder klar und deutlich vor Augen. Wieder sah ich den flatternden Hemdstoff, die Menschenmenge, die sich im Schaufenster spiegelte, den friedlichen Blick der beiden Männer. Du musst die Zeichen deines Leids verschlüsseln lernen , hieß es in dem Gedicht.

11
    Als ich wieder im Quarter war, fing es an zu regnen. Ich sprintete die Chartres Street runter und über den Jackson Square, wo es überall nach Brauerei roch, zum Café du Monde.
    Er saß draußen, hatte einen seiner gelben Anzüge an und mindestens ein halbes Dutzend leere Kaffeetassen vor sich auf dem Tisch stehen. Seine Pupillen waren untertassengroß. Ich spürte, wie mich der Hass packte, sich zusammenbraute wie der Regen.
    »Long John«, sagte ich. »Auf und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher