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Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition)
Autoren: James Sallis
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Ich hab was für dich, so schnell es geht.«
    »Komm rein.« Er schloss die Tür auf und winkte mich vor. »Bei mir geht’s immer schnell. Der Hexer am Blitz, so hat man mich in höheren Kreisen genannt.«
    »Aha? Wann hast du denn zum letzten Mal in höheren Kreisen verkehrt?«
    »Lass das. Worum geht’s?«
    »Um ein Bild, das ich aus einer Illustrierten ausgeschnitten habe. Ich will, dass du es dir vornimmst, die Haut aufhellst, die Frisur veränderst. Es handelt sich um eine junge Schwarze. Wenn du damit durch bist, soll sie aussehen wie eine Weiße. Kriegst du das hin, Hexer?«
    »Mal sehn.« Er nahm das Bild und hielt es ans Licht. »Na ja, wenigstens auf Hochglanzpapier. Wie dringend brauchst du’s?«
    »In einer Stunde?«
    »In einer Stunde, sagt er. Na schön. Willst du warten oder wiederkommen?«
    »Ich komm wieder.«
    Ich rangierte den Caddy wieder raus und fuhr zum Morning Call. Trank drei Tassen Zichorienkaffee und aß drei Beignets. Ein Mann am Tisch gegenüber las die Times-Picayune , und als er umblätterte, sah ich die Überschrift auf einer der Innenseiten: WO IST CORENE DAVIS? Die Sache sickerte also endlich durch.
    Eine Stunde später war ich wieder bei Milt. Er reichte mir einen zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter großen Abzug.
    »Ein bisschen körnig, aber besser ging’s nicht«, sagte er.
    Ich schaute mir das Bild an. Bestens. Wie Barbies Schwester.
    »Kannst du’s auf Rechnung setzen, Milt?«
    »Die Rechnung ist ziemlich ausgereizt, Lew.«
    Ich pellte einen Fünfziger ab und schob ihn rüber.
    »Reicht das?«
    »Und für einen Teil von der Rechnung ebenfalls.«
    »Danke, Milt.«
    »Gern geschehn.«
    Ich stieg wieder ins Auto, saß da und dachte nach. Jetzt wusste ich wenigstens, nach wem oder was ich Ausschau halten musste. Ich hatte sogar ein Bild, ein gutes. Sollte ich das, was ich wusste, an Blackie, ’tschuldigung, an Abdullah Abded weitergeben und ihm alles Weitere überlassen? Er hatte Kontakte und Beziehungen, die ich nicht hatte, und konnte sie womöglich schneller finden. Oder sollte ich mich an die Polizei wenden – mich irgendwo mit Walsh treffen und ihm die Sache übergeben? Ich musste wieder an die Überschrift denken, die weit hinten in der Zeitung gestanden hatte, alles wie gehabt, so als ob sich sowieso niemand drum scherte. Was vermutlich auch den Tatsachen entsprach.

9
    Also zog ich los.
    Parkte beim Pigeonhole und ging über die Straße, während das Auto von einem schweren, rumpelnden Gabelstapler hochgehievt und in ein Parkkabuff verfrachtet wurde. Erst zur Bourbon Street. Wenn sie noch nie in New Orleans gewesen war, bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie die übliche Tour gemacht hatte.
    Louie im Pat’s. Barney in The Famous Doors. Jimmy im Three Sisters. Daley im Tujagues. Das Beste, was dabei raussprang, war ein »Na ja, schon möglich«. Ich ging sogar zur Preservation Hall und ins Gaslight Theatre. Aber fündig wurde ich erst, als ich mich runter zum Seven Seas vorarbeitete.
    »Ja, klare Sache, die is letzte Woche jeden zweiten Abend oder so hier gewesen.«
    »Allein?«
    »Nicht lange, aber am Anfang immer.« Dann, als er meinen scharfen Blick sah: »Sie hat angeschafft. Hat irgendwas ausgestrahlt, wissen Sie? Ein frisches Pferd. Auf so was stehn die Jungs.«
    »Sind Sie sicher, dass es diese Frau war?«
    »Sicher? Klar bin ich mir sicher. Die Haare sind anders, aber selbstverständlich isse das. Nennt sich Blanche. Is außerdem ziemlich schwer auf irgendwas drauf, würde ich sagen – entweder an der Nadel oder an der Flasche. Schwer zu sagen.«
    Was war der Auslöser dafür, so fragte ich mich damals, dass jemand so versackte? Steckte die Ursache für diesen tiefen Absturz von Anfang an in ihm (oder ihr) drin, in uns allen womöglich? Oder legte man den Grundstock dafür selber, baute ihn im Lauf der Zeit unbewusst aus, so wie man sein Gesicht gestaltet, sein Leben, die Geschichten, mit denen man lebt, diejenigen, mit denen man weiterleben kann. Ich hatte den Eindruck, als ob ich das wissen sollte. Ich hatte es mehr als einmal durchgemacht und würde es wahrscheinlich wieder durchmachen.
    Früher, als ich dachte, vermutlich.
    »Irgendeine Ahnung, wo sie sonst noch anschaffen könnte?«
    »Sie könnten’s mal im Joe’s probieren.«
    »Da ist sie nicht gewesen.«
    »Tja. Na ja, dann in ’nem Laden namens Blue Door. Is an der –«
    »Ich weiß, wo er ist. Danke.«
    » De nada . Wie wär’s mit ’nem Drink, bevor Sie abhaun?«
    Ich bestellte
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