Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
hereinschneien und ihn anpumpen! Da kam mir eine glänzende Idee: Ich würde nach Hause gehen, die Schallplatten holen und sie ihm als kleines Geschenk mitbringen. Dann würde es leichter sein, nach einigen Umschweifen auf ein belegtes Brot oder ein Stück Kuchen anzuspielen. Ich beschleunigte meinen Schritt, obwohl ich hundemüde und lendenlahm war.

     
    Als ich zu Hause anlangte, stellte ich fest, daß es schon fast Mitternacht war. Ich war wie vernichtet. Es war sinnlos, weiter nach Fourage zu suchen. Ich würde zu Bett gehen in der Hoffnung, . am Morgen etwas aufzutreiben. Während ich mich auszog, kam mir eine neue, allerdings nicht so brillante Idee, aber immerhin... Ich ging zum Ausguß und öffnete den kleinen Verschlag, in dem der Abfalleimer stand. Ich nahm den Deckel ab und schaute hinein. Auf dem Boden lagen ein paar Knochen und ein Brotkanten. Ich fischte die trockene Kruste heraus, kratzte sorgfältig den Schimmel ab, um so wenig wie möglich zu verschwenden, und weichte sie unter dem Leitungswasser auf. Dann biß ich langsam hinein und holte aus jeder Krume das Möglichste heraus. Als ich das Zeug herunterschluckte, verzog sich mein Gesicht zu einem immer breiteren Lächeln. Morgen, dachte ich bei mir, gehe ich zurück zu dem Laden und biete die Bücher zum halben Preis an — oder zu einem Drittel oder einem Viertel des Preises. Das gleiche würde ich mit den Schallplatten machen. Müßten wenigstens zehn Francs einbringen. Ich würde mir ein gutes, herzhaftes Frühstück gönnen und dann ... Nun, danach war alles möglich. Wir würden sehen... Ich lächelte aufs neue, so als lächelte ich mit wohlgenährtem Magen. Meine Laune wurde immer besser. Diese Nys hatte sich bestimmt eine Pfundsmahlzeit geleistet. Wahrscheinlich mit ihrem Liebhaber. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß sie einen hatte. Ihr großes Problem, ihr Dilemma war zweifellos, wie sie ihn durchfüttern, ihm Anzüge und all die kleinen Dinge, auf die er aus war, kaufen konnte. Immerhin, es war ein königlicher Fick gewesen, obwohl ich mich dabei in die Patsche gefickt hatte. Ich sah sie vor mir, wie sie die Serviette an ihre vollen, reifen Lippen hob, um die Sauce von dem zarten Hühnchen wegzuwischen, das sie sich bestellt hatte. Welche Weine mochte sie wohl bevorzugen? Wenn wir nur in die Touraine fahren könnten! Aber dazu war eine Menge Zaster nötig. Ich würde nie soviel Geld haben. Niemals. Trotzdem schadete es nichts, davon zu träumen. Ich trank noch ein Glas Wasser. Als ich das Glas zurückstellte, entdeckte ich in einer Ecke des Schrankes ein Stück Roquefort. Wenn da doch noch ein Stückchen Brot wäre! Um sicher zu gehen, daß ich nichts übersehen hatte, öffnete ich noch einmal den Abfalleimer. Ein paar Knochen in schimmeligem Fett glotzten mich an.
    Ich wollte noch ein Stück Brot haben - unbedingt. Vielleicht konnte ich mir von einem Nachbarn einen Kanten borgen. Ich öffnete die Flurtür und ging auf Zehenspitzen hinaus. Es herrschte Grabesstille. Ich legte mein Ohr an eine der Türen und lauschte. Ein Kind hustete schwach. Sinnlos. Selbst wenn noch jemand wach war - es ging nicht. Nicht in Frankreich. Wer hat schon jemals von einem Franzosen gehört, der tief in der Nacht an die Tür eines Nachbarn klopfte, um einen Brotkanten zu erbitten? «Scheiße», murmelte ich vor mich hin, «wenn man an all das Brot denkt, das wir schon in den Mülleimer geworfen haben!» Ich biß wütend in den Roquefort. Er war alt und ranzig. Er zerbröckelte wie ein in Urin getränktes Stück Gips. Diese Schlampe - Nys! Wenn ich nur ihre Adresse wüßte, dann würde ich hingehen und sie um ein paar Francs bitten. Ich mußte nicht bei Verstand gewesen sein, daß ich nicht wenigstens etwas Kleingeld zurückbehalten hatte. Einer Hure Geld zu geben, ist genauso, als werfe man es in die Gosse. Ihre große Not! Noch ein Hemd, höchstwahrscheinlich, oder ein Paar reinseidene Strümpfe, die sie im Vorbeigehen in einem Schaufenster erspäht hatte.
    Ich steigerte mich in eine schöne Wut hinein. Nur weil nicht noch ein Brotkanten im Haus war. Idiotisch! Völlig idiotisch! In meinem Delirium begann ich von Malzmilch-Shakes zu träumen und wie in Amerika immer ein ganzes Glas voll im Shaker zurückblieb. Der Gedanke daran war quälend. In Amerika war immer mehr da, als man brauchte, nicht weniger. Als ich meine Sachen abstreifte, betastete ich meine Rippen. Sie standen heraus wie die Quetschfalten einer Ziehharmonika. Diese pummelige kleine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher