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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy
Autoren: Henry Miller
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Anfangs bekam er dafür bis zu vierhundert Francs, was damals ein hübsches Sümmchen war. Er behandelte seine Maschine mit äußerster Sorgfalt, da er sie häufig verpfänden mußte. Mir ist noch lebhaft gegenwärtig, wie er das Ding jedesmal, wenn er sich zum Schreiben hinsetzte, abstaubte und ölte und wie er, sobald er fertig war, vorsichtig die Schutzhülle darüber legte. Ich bemerkte auch, daß er sich insgeheim jedesmal erleichtert fühlte, wenn er sie verpfändet hatte: bedeutete es doch, daß er einen Feiertag einlegen konnte, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Aber wenn das Geld alle war und ihm nur noch freie Zeit blieb, wurde er kribbelig. Gerade dann, schwor er, hätte er immer die besten Ideen. Wenn diese Ideen ihn überkamen und von ihm Besitz ergriffen, kaufte er sich ein kleines Notizbuch, verschwand irgendwohin und schrieb sie mit dem Füllfederhalter nieder, einem der hübschesten Parker, die ich je gesehen habe. Daß er sich heimlich Notizen machte, wollte er mir gegenüber nie zugeben, das kam immer erst später heraus. Nein, er kam nach Hause und machte ein griesgrämiges, saures Gesicht und sprach von einem verpißten Tag. Wenn ich vorschlug, er solle in die Redaktion der Zeitung gehen, wo er nachts arbeitete, und dort eine der Maschinen benutzen, wußte er bestimmt einen triftigen Grund, warum das unmöglich war.

    Ich erwähne diese Geschichte mit der Maschine, und daß er sie nie hatte, wenn er sie wirklich brauchte, weil es zu seinem Wesen gehörte, sich selbst Schwierigkeiten zu bereiten. Es war ein kunstvolles Manöver, das immer vorteilhaft für ihn ausging, obwohl es zunächst keineswegs danach aussah. Hätte er nicht in regelmäßigen Abständen auf seine Maschine verzichten müssen, so wären seine Einfälle wohl versiegt, er hätte jeden Mut verloren und wäre weit über das normale Maß hinaus unproduktiv gewesen. Seine Fähigkeit, sozusagen auf Tauchstation zu gehen, war verblüffend. Die meisten Leute, die ihn erlebten, wenn das Wasser über ihm zusammenschlug, gaben ihn gewöhnlich auf. Aber er war nie wirklich in Gefahr, zu ertrinken. Wenn er diesen Eindruck hervorrief, so nur deshalb, weil er ein so großes Bedürfnis nach Mitgefühl und Anteilnahme hatte. Wenn er wieder auftauchte und von seinen Unterwasser-Erfahrungen berichtete, war das die reinste Offenbarung. Vor allem bewies es, daß er die ganze Zeit über quicklebendig gewesen war. Nicht nur quicklebendig, sondern auch höchst aufmerksam. Als sei er wie ein Fisch in einem Aquarium herumgeschwommen, als habe er alles durch ein Vergrößerungsglas gesehen.
    Er war in vieler Hinsicht ein seltsamer Vogel. Einer, der überdies seine eigenen Gefühle wie das Werk einer Schweizer Uhr auseinandernehmen und untersuchen konnte.
    Für einen Künstler sind die schlimmen Erfahrungen ebenso fruchtbar wie die guten, manchmal sogar noch fruchtbarer. Für ihn ist jede Erfahrung fruchtbar und kann in Kapital verwandelt werden. Carl war der Typ des Künstlers, der fürchtet, sein Kapital aufzubrauchen. Statt seinen Erfahrungskreis zu erweitern, zog er es vor, sein Kapital zu horten. Das tat er, indem er das natürliche Fließen auf ein dünnes Tröpfeln reduzierte.
    Das Leben versorgt uns ständig mit neuen Mitteln, neuen Hilfsquellen, selbst wenn wir stagnieren. Im Hauptbuch des Lebens gibt es keine eingefrorenen Guthaben.
    "Worauf ich hinauswill, ist, daß Carl unbewußt sich selbst betrog. Er war immer bemüht, sich zurückzuhalten, statt sich zu verströmen. So kam es, daß seine Abenteuer, wenn er im Leben oder beim Schreiben über die Stränge schlug, etwas Halluzinatorisches annahmen. Gerade das, was er zu erleben oder auszudrücken fürchtete, war das, womit er sich im ungeeignetsten Augenblick, das heißt, wenn er am wenigsten darauf vorbereitet war, auseinandersetzen mußte. Seine Verwegenheit entsprang also eher der Verzweiflung. Manchmal verhielt er sich wie eine Ratte in der Falle - auch bei seiner Arbeit. Die Leute fragten sich, woher er den Mut oder auch nur die Erfindungskraft nahm, gewisse Dinge zu tun oder zu sagen. Sie vergaßen dabei, daß er immer wieder über die Selbstmordgrenze hinausgegangen war. Selbstmord war für Carl einfach keine Lösung. Wenn er hätte sterben und dabei seinen eigenen Tod beschreiben können, das hätte er wunderbar gefunden. Bei manchen Gelegenheiten sagte er, er könne sich nicht vorstellen, je zu sterben, es sei denn, bei einer Naturkatastrophe. Er sagte das nicht wie jemand,
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