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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy
Autoren: Henry Miller
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Festungsanlagen spazierenging. Das war zu dieser nächtlichen Stunde ein seltsames und reichlich verdächtiges Unternehmen. Sie grüßte zurück wie in Trance. Sie schien sich an unsere Gesichter zu erinnern, hatte aber offensichtlich vergessen, wo oder wann wir uns begegnet waren, und sie schien auch nicht geneigt, ihre Erinnerung aufzufrischen. Sie akzeptierte unsere Gesellschaft, wie sie die jedes anderen hingenommen hätte, der zufällig des Weges gekommen wäre. Sie machte nicht den geringsten Versuch, sich mit uns zu unterhalten, sondern nahm einfach ihre Selbstgespräche wieder auf. Carl, der in solchen Dingen geschickt war, ging in der ihm eigenen schizophrenen Weise auf sie ein. Schritt für Schritt lotsten wir sie wie eine Schlafwandlerin zu unserem Haus zurück und in die Wohnung hinauf. Kein Sterbenswörtchen, wohin wir gingen, was wir vorhatten. Sie kam herein und setzte sich auf den Diwan, als sei sie hier zu Hause. Sie verlangte Tee und ein Sandwich, als bestelle sie das beim garçon im Café. Und im gleichen Tonfall fragte sie uns, wieviel wir ihr geben würden, wenn sie bei uns bliebe. In ihrer sachlichen Art fügte sie hinzu, daß sie zweihundert Francs für die am nächsten Tag fällige Miete brauche. Zweihundert Francs seien wahrscheinlich ziemlich viel, bemerkte sie, aber die brauche sie nun einmal. Sie sprach wie jemand, der seinen Speiseschrank wieder auffüllen muß: Also, da brauchen wir Eier, Butter, ein Brot und vielleicht ein Glas Marmelade. So und nicht anders. «Wenn ihr wollt, daß ich euch einen abkaue, oder lieber von hinten, mir soll alles recht sein», sagte sie und nippte dabei an ihrem Tee wie eine Herzogin auf einem Wohltätigkeitsbasar. «Mein Busen ist noch fest und appetitlich», fuhr sie fort, knöpfte die Bluse auf und holte eine Handvoll heraus. «Ich kenne Männer, die tausend Francs bezahlen würden, um mit mir zu schlafen, aber es ist mir zu langweilig, hinter ihnen her zu laufen. Ich brauche zweihundert Francs, nicht mehr und nicht weniger.» Sie hielt einen Augenblick inne und warf einen Blick auf ein Buch, das dicht vor ihr auf dem Tisch lag. Dann fuhr sie mit der gleichen tonlosen Stimme fort: «Ich habe auch Gedichte, ich werde sie euch später zeigen. Sie sind vielleicht besser als die da» - was sich auf den Band bezog, auf den sie gerade einen Blick geworfen hatte.
    An diesem Punkt begann Carl, der in der Tür stand, mir in der Taubstummensprache Zeichen zu machen, um anzudeuten, sie sei verrückt. Sie hatte in ihrer Handtasche nach den Gedichten gekramt, aber nun blickte sie plötzlich auf und sagte, als sie den verlegenen Ausdruck auf Garls Gesicht wahrnahm, ruhig und gelassen, er sei wohl nicht ganz bei Tröste. Im gleichen Atemzug fragte sie: «Habt ihr ein Bidet im Badezimmer? Ich werde euch gleich ein Gedicht vorlesen. Es handelt von einem Traum, den ich gestern abend hatte.» Bei diesen Worten stand sie auf und zog sich langsam Bluse und Rock aus. «Sag deinem Freund, er soll sich fertig machen», sagte sie und löste ihr Haar. «Ich will zuerst mit ihm schlafen.»
    Carl fuhr zusammen. Er bekam immer mehr Angst vor ihr, gleichzeitig krümmte er sich vor unterdrücktem Lachen.
    ‹:Wart einen Augenblick», sagte er, «trink einen Schluck Wein, bevor du dich wäschst. Es wird dir guttun.» Er brachte rasch eine Flasche und goß ihr ein Glas voll ein. Sie stürzte es herunter, als lösche sie ihren Durst mit einem Glas Wasser. «Zieh mir meine Schuhe und meine Strümpfe aus», sagte sie, lehnte sich an die Wand zurück und hielt ihr Glas hin. «Ce vin est une saloperie» , fügte sie mit ihrer monotonen Stimme hinzu, «aber ich bin an ihn gewöhnt. Ihr habt doch die zweihundert Francs, wie? Ich muß genau diesen Betrag haben. Nicht hundertfünfundsiebzig oder hundertachtzig. Gib mir deine Hand...» Sie nahm Carls Hand, die an ihrem Strumpfgürtel herumgenestelt hatte, und legte sie auf ihre Mieze. «Es gibt Narren, die bis zu fünftausend Francs geboten haben, um das zu betasten. Die Männer sind dumm. Du darfst sie umsonst anfassen. Da, schenk mir noch ein Glas voll ein. Er schmeckt weniger scheußlich, wenn man viel davon trinkt.
Wieviel Uhr ist es?»

     
    Sobald sie sich im Badezimmer eingeschlossen hatte, platzte Carl heraus. Er lachte wie ein Irrer. Er hatte Angst, das war's. «Ich tue es nicht», sagte er. «Sie könnte mir den Schwanz abbeißen. Schaffen wir sie hier raus. Ich gebe ihr fünfzig Francs und verfrachte sie in ein Taxi.»
    «Ich glaube
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