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Still und starr ruht der Tod

Still und starr ruht der Tod

Titel: Still und starr ruht der Tod
Autoren: Friederike Schmoee
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freiberuflich beim BR als Journalistin, manchmal als Moderatorin, nahm einen Lehrauftrag an der Uni an und unterrichtete dort Literatur des 20. Jahrhunderts. Ihre Leidenschaft.
    »In alten Zeiten haben wir die Pizza tiefgekühlt bei Aldi gekauft und mit Champignons aus der Dose aufgemotzt«, unkte Simone.
    Rita schob ihre Papiere zusammen. »Die Ausprägungen ändern sich, die Substanz bleibt.« Sie schnappte sich das Telefon und wählte die Nummer des Pizzadienstes.
    Eine dreiviertel Stunde später saßen sie vor ihren dampfenden Tellern, eine Flasche Rotwein und eine Kerze zwischen sich.
    »Auf den ersten Advent!« Simone hob ihr Glas.
    »Zum Wohl!« Ritas Oberpfälzer Slang hatte sich mit den Jahren abgenutzt. »Schön, dass du hier bist.«
    »Danke.« Simone wurde rot. Sie tastete nach ihren Strähnen, die jetzt ganz knapp unter ihren Ohrläppchen endeten. Beim Duschen fand sie nach wie vor viel zu viele Haare im Sieb, das sie über den Abfluss gelegt hatte. Aber sie kam sich nicht mehr so kahl vor.
    »Deine Haare sind okay.«
    »Kannst du immer noch Gedanken lesen?«
    »Konnte ich nie.«
    »Konntest du.« Simone kicherte.
    »Wie du meinst.« Rita säbelte an ihrer Pizza herum. Ihre Bewegungen waren energiegeladen und robust, ob sie jemandem die Hand drückte oder eine Tür schloss. Hinter allem, was sie tat, lauerten Kraft, Tatendrang, Ungeduld. »Läufst du eigentlich immer so aufgedonnert herum?«
    »Aufgedonnert?« Ehrlich erstaunt blickte Simone an sich herunter. Sie trug gestreifte Leggings, einen kurzen Jeansrock und ein langärmeliges Shirt unter ihrem Wollpulli.
    »Ich meine ja nur. Geschminkt und so.«
    »Geschminkt?« Verstohlen studierte Simone Ritas Gesicht. Die Züge ihrer Freundin waren scharf geschnitten, bei den Zähnen war eine Korrektur versäumt worden, und die steile Falte über ihrer Nasenwurzel zeugte von unterdrücktem Stress.
    »Vergiss es«, schnappte Rita.
    »Ein Lidstrich? Ein paar Tupfer Rouge?«
    »Ich sagte, vergiss es.« Rita nahm ein Pizzastück in die Hand und biss hinein.
    »In Frankreich«, begann Simone, »gehen die Frauen schicker auf die Straße als hier. Wenn ich in Jeans und Sweater zur Arbeit gekommen wäre …«
    »Arbeit?« Kritisch zog Rita die Augenbrauen hoch.
    Okay, es war ein simpler Aushilfsjob in einem Architekturbüro. Simone hatte dort ab und zu Korrespondenzen und Verträge übersetzt, wenn Deutsch benötigt wurde. Das war selten der Fall. Ansonsten war sie Hausfrau und Mutter. Mit ein paar Ehrenämtern.
    »Ich …«
    »Hör schon auf, dich zu verteidigen!« Rita grinste. »War nicht böse gemeint.« Sie schenkte Wein nach. Der Alkohol rötete ihr Gesicht.
    Sie ist alt geworden, dachte Simone plötzlich. Warum macht sie nichts dagegen, hat sie keine Probleme mit dem Älterwerden?, fragte sich Simone, während sie ihr Weinglas nahm und einen Schluck trank.
    »Morgen Abend trifft sich der Literatur- und Fresszirkel. Die Herrschaften freuen sich schon, dich kennenzulernen.«
    »Ulkiger Name. Wie kam es dazu?«, fragte Simone, froh um ein neues Thema.
    »Ein Haufen zusammengewürfelter Cracks, die gern lesen. Sie kommen aus ganz Nordbayern. Paare, Einzelgänger … Eigentlich sind sie aus einem Volkshochschulkurs hervorgegangen, den ich vor Jahren geleitet habe. Kreatives Lesen. Literatur mal anders.«
    »Klingt spannend.«
    »Deswegen haben sich die Leute eingeschrieben. Sie wollten was über Literatur erfahren, bloß ohne dieses snobistische Wissenschaftsgehabe. Die Feuilletons kannst du nicht lesen. Geschwafel hoch zehn. Die Kerle da schreiben für sich selbst und die Kollegen, nicht fürs Publikum.« Rita schnaubte.
    »Ihr habt es anders gemacht?«
    »Ich habe den Leuten beigebracht, wie man mit Literatur umgeht. Dass man einen Unterhaltungsroman eben nicht mit einer experimentellen Kurzgeschichte vergleichen kann.« Rita schob ihren Teller weg. Er krachte gegen den Kerzenständer.
    Simone streckte die Hand aus und zog die Kerze ein paar Zentimeter weg.
    »Nach dem Semester wollten die Teilnehmer einen Aufbaukurs. Der fiel einem Sparplan zum Opfer, also taten wir uns privat zusammen. Wir trafen uns anfangs bei mir zu Hause, nach jeder Sitzung steckten sie Geld in ein Sparschwein. Ich wollte eigentlich kein Honorar. Ich habe meine Jobs. Und so kam es, dass sich immer einer ums leibliche Wohl kümmerte.«
    »Naturalien als Honorar!« Simone kicherte.
    Rita warf ihr einen schnellen Blick zu. »Genau.« Sie schleuderte eine Packung Lucky Strike auf den Tisch.
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