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Still und starr ruht der Tod

Still und starr ruht der Tod

Titel: Still und starr ruht der Tod
Autoren: Friederike Schmoee
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»Seitdem treffen wir uns reihum, und wer dran ist, kocht. Morgen sind wir bei Margot in Forchheim.«
    Rita hielt Simone die Schachtel hin.
     
    Weit nach Mitternacht löschten sie das Licht. Simone ging als Zweite ins Bad. Nachdenklich betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel. Sie waren gleich alt. Rita hatte im Mai Geburtstag, sie im Juni. Aber sie sah jünger aus. Ließ es einen altern, wenn man allein lebte? Simone hatte manchmal, wenn es mit Natalie Probleme gab und Jean-Claude sie alles allein hatte regeln lassen, darüber gegrübelt, ob es nicht stressfreier wäre, Single zu sein. Aber um nichts in der Welt hätte sie ihre Familie missen wollen. Bis …
    Kein Geheule jetzt!
    Sie tastete nach den Tempos in ihrem Kulturbeutel. Sie musste unbedingt eine Schachtel Kosmetiktücher kaufen. So was gab es bei Rita nicht. Während sie sich abschminkte und die wenigen Utensilien ihrer Freundin betrachtete – Zahnbürste und Zahnpasta, Seife, Nivea-Creme und eine Flasche Shampoo für Haut und Haar – grübelte sie, warum ihr Kosmetik plötzlich so wichtig schien. Weil sie in Frankreich gelebt hatte? Hoppla, du lebst weiterhin dort, schalt sie sich. Du bist nur auf Urlaub in Deutschland.
    Das Haus gehörte Jean-Claude und ihr zusammen. Sie sollten bald eine Einigung finden, die Scheidung musste vorankommen. Ihre Anwältin würde sich bald melden. Wo sollte sie hinziehen? Simone wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser. Sie würde schon was finden. Das Haus verkaufen und mit dem Geld was Neues anfangen. Aber wo? Hier, in Bamberg? Ihre Eltern waren beide tot, vor zehn Jahren gestorben. Sie hatte keine Geschwister, nur eine Cousine in München, mit der sie nicht den geringsten Kontakt hatte. In den vergangenen Jahren hatte sie keine Verbindungen in die alte Heimat gebraucht. Sie hatte ihre Familie, einen Mann, eine Tochter, Hundertschaften befreundeter Familien, die mit Kind und Kegel an den Wochenenden bei ihnen im Dorf vorbeischauten, weil es so schön war, weil man so bald im Frühjahr auf der Terrasse sitzen konnte, weil der Blick über die Hügel einem das Herz aufgehen ließ. Mit den Jahren, mit der wachsenden Selbständigkeit der Kinder im Freundeskreis, ließen die Besuche nach, und Simone saß allein mit Jean-Claude im Wohnzimmer. Damit hatte die Entfremdung angefangen. Aus der Ferne schien Simone alles ganz einleuchtend. Kein Sex mehr, keine Unternehmungen, nur Arbeit, Ehrenämter, ihre zunehmende Unzufriedenheit, weil sie ihr Leben langweilig fand. Zweimal im Jahr fuhren sie nach Paris, wohnten ein paar Tage bei Irène, gingen in Ausstellungen und Konzerte. Genaugenommen haben wir das bloß zwei Mal miteinander gemacht, dachte Simone wütend. Danach bin ich allein gefahren.
    Dann die Verwandtentreffen in Aix mit Schwägerin und Schwiegervater, Irène war meistens dabei, obwohl sie eine eher lockere Beziehung zu ihrem Mann pflegte, verdammt, jetzt flossen doch die Tränen.
    Simone hatte so viel eingesteckt für Jean-Claude. Sein Vater hasste die Deutschen. Er war zu jung, um den Krieg miterlebt zu haben. Jahrgang 1943. Es war die nationale Arroganz, die den Mann im Griff hatte. So definierte er sich: Er war Franzose. Er war auf der Seite der Sieger.
    Simone hockte sich auf den Badewannenrand und schluchzte leise in ihr Handtuch. Sie wollte Rita nicht wecken. Rita hätte sich diese Demütigungen nicht bieten lassen. Simone dagegen hatte die Zähne zusammengebissen und weggehört. Sie hatte nie widersprochen. Jean-Claude kam ihr nie zu Hilfe. Wenn sie über seinen Vater klagte, zuckte er lässig die Schultern und sagte: »Lass ihn, er ändert sich nicht mehr.«
    Nur in einem hatte sie sich durchgesetzt. Sie sprach Deutsch mit Natalie.
    Simone straffte die Schultern. Also doch keine so ganz miese Bilanz, dachte sie.

Mittwoch, 5.12.
     
    3
     
    »Würdet ihr bitte eure Schuhe ausziehen?«, war das Erste, was Simone von Margot Scheinfelder zu hören bekam.
    »Klar«, sagte Rita sofort. Mit lautem Poltern fielen ihre Wanderschuhe zu Boden. Es stapelten sich bereits haufenweise nasse Schuhe vor Margots Wohnungstür.
    Simone schlüpfte aus ihren Stiefeln und stakte auf Zehenspitzen in die Wohnung, um nicht in die Lache aus geschmolzenem Schnee zu treten.
    »Dicke Socken gefällig?«. Margot, die einen halben Kopf kleiner war als Simone, hielt ihnen resolut zwei Paar Wollsocken entgegen.
    Reflexartig nahm Simone eines. Verdattert hielt sie es fest, während sie den anderen Literaturfreaks vorgestellt wurde. Da war Ivo,
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