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Still und starr ruht der Tod

Still und starr ruht der Tod

Titel: Still und starr ruht der Tod
Autoren: Friederike Schmoee
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dem Tod ihrer Schwiegermutter war alles aus dem Ruder gelaufen. Jean-Claude hatte eine Affäre angefangen, die neue Frau geschwängert und Simone verlassen.
    Klar. Wenn man evolutionsbiologisch dachte, und das tat Jean-Claude als Biologe, dann hatte Simone ihren Nachwuchs großgezogen und brauchte keinen Mann mehr. Für Jean-Claude begann noch einmal alles von vorn. Freude und Leid. Simone stellte sich vor, wie Irène an ihrer Stelle reagiert hätte. Vermutlich mit einem Besuch im Schönheitssalon, der nicht vom Haarausfall diktiert war. Selbstverständlich hätte sie lässig mit einem Scheck ihres Mannes bezahlt.
    Als Nächstes verschwand Natalie – nicht aus ihrem Leben, aber aus ihrem Alltag. Sie hatte schlicht keine Lust mehr, mit ihrer Mutter zusammenzuleben. Sie war 20. Alt genug. Simone selbst hatte schon mit 19 das Nest der Eltern verlassen. In einer WG gewohnt, aber immerhin in derselben Stadt. Natalie zog nach Paris, das war mit dem TGV nicht weit, es gab Leute, die berufsbedingt von Aix in die Hauptstadt pendelten. Paris erschien Simone wie ein anderer Stern. Im Apartment der Großmutter wollte Natalie wohnen. Sie wollte Freunde finden, Sachen ausprobieren. Ohne einen Plan. Für Natalie öffnete sich gerade die Welt.
    »Schreib dich wenigstens für ein Studium ein!«, hatte Simone ihre Tochter angefleht. Auf dem Ohr war Natalie taub. Sie wollte rumgucken, testen, experimentieren. Am bittersten war das Gefühl, Natalie hätte nur auf den Moment gewartet, an dem ihr Vater auszog, um selbst ausbrechen zu können. Nichts wie weg aus dem freudlosen Haus in dem Dorf, das man von Aix mit dem Bus erreichte, aber nur bis halb sieben am Abend, nichts für ein junges Mädchen, das war Simone klar.
    Ich hätte keine Kraft mehr, ein Kind aufzuziehen, dachte sie. Ein Baby vielleicht, aber die Schulzeit, die Kämpfe um Hausaufgaben und Noten. Die Pubertät, das Gerangel, die mühsam ausgefochtenen Kompromisse, die erste Liebe und die Tränenströme. Sie gab den Becher ab. Pfand war etwas Deutsches, in Frankreich unüblich. Pfand. Sie lächelte. Einfach über das Wort.
    Es war schön, wieder zu Hause zu sein.
     
     
     
    2
    Rita saß über einen Stapel Unterlagen gebeugt, als Simone heimkam. Das Wohnzimmer quoll über vor Büchern, Notizen, Kladden, Ausdrucken, Schnellheftern, Sammelmappen. Auf dem Sofa, dem niedrigen Tisch, dem Parkettboden stapelten sich die Zeugen einer literaturvernarrten Arbeiterin.
    »Hallo!«, rief Simone, während sie aus den Stiefeln schlüpfte und den Mantel an die Garderobe hängte. »Störe ich?«
    »Du kannst nicht stören.« Ritas rauchige Stimme klang ein klein wenig gehetzt. Als ginge Rita nichts schnell genug. Weil so viel zu tun war und Ritas To-do-Liste nie kürzer wurde. Simone wollte nicht darauf achten.
    »Arbeite ruhig weiter.« Sie streckte den Kopf ins Wohnzimmer. »Soll ich uns was kochen?«
    Rita grinste. »Ich würde sagen, wir bestellen eine Pizza. Wie in alten Zeiten!«
    Auch Simone lächelte. Sie und Rita hatten zusammen studiert. Sich am allerersten Tag in der Uni kennen gelernt. Simone aus Bamberg und Rita aus der Oberpfalz. Simone schüchtern und arbeitsam, ein honigblondes Mädchen, das still dabeisaß, während ihre Kommilitonen rauchend und trinkend die Welt zurechtschnitzten. Rita vorlaut und ehrgeizig, deren Meinungen damals vom linken Mainstream abwichen, was Rita in eine Außenseiterposition bugsierte, die sie nicht einmal wahrnahm. Beide stürzten sich Seite an Seite in das Studium der Germanistik, wobei Simone als Nebenfächer Französisch und Volkskunde wählte, während Rita Kommunikationswissenschaften und Archäologie belegte. Sie spielten zusammen Volleyball in der Unimannschaft, Rita war ein echter Freak, sportlich bis unter die Haarspitzen. Im Studentenheim Obere Mühlbrücken bekamen sie zwei Zimmer nebeneinander, nachdem sie eine Mitarbeiterin des Studentenwerks geschmiert hatten. Ein paar Jahre lang lebte Simone wie im Himmel, untergetaucht in der Welt der Literatur, bis das Studium vorbei war und die wirkliche Welt rief. Für Simone, die frankophile, sollte es Frankreich sein. Zunächst für ein Jahr, ein Kunstkurs an der Côte d’Azur. Dort lernte sie ein paar Männer kennen und strandete schließlich bei Jean-Claude, nachdem sie mit Natalie schwanger geworden war. Und Rita, die weltgewandte, die in allen Semesterferien erst jobbte, um den Verdienst anschließend auf einer langen Reise zu verprassen, blieb in Bamberg hängen. Sie arbeitete
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