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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
Autoren: Wolfgang Brenner
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sie irgendwann die
     Treppe hinunterstoßen würde – oder er würde ihr Gift in ihren Tee geben. Es gab Gifte in der Asservatenkammer am Quai des
     Orfèvres, die man im Körper nicht nachweisen konnte. Die Ärzte stellten dann meistens den Totenschein auf »Herztod« aus, weil
     sie nicht gerne zugaben, daß sie die wahre Ursache des Ablebens nicht finden konnten. Lamartine spürte ein eigenartiges Kribbeln;
     irgendwie schmeichelte es ihm, im Gegensatz zu anderen Menschen nicht nur von solchen Möglichkeiten zu wissen, sondern sie
     auch realisieren zu können. Dann aber seufzte er bloß und ging an der Schwiegermutter vorbei in das Zimmer von Jeanne.
    Er war eben ein anderer Mensch, kein starker, sondern ein maßvoller.
     
    Als Lamartine am nächsten Morgen müde und mit Sodbrennen ins Büro kam, fand er auf seinem Schreibtisch eine Nachricht von
     den Gerichtsmedizinern. Dr. Granche, einer der besserenÄrzte, über die die Pariser Polizei verfügte, hatte festgestellt, daß der Tote aus dem Bois de Boulogne an Gift gestorben
     war. Granche hatte geschrieben: Die Dosis war stark genug, um einen ganzen Kirchenchor ins Jenseits zu schicken.
    Das erstaunte Lamartine. Warum verabreichte man mehr Gift als nötig? Gift war ein wertvoller Stoff – selbst in besseren Zeiten.
     Der Gerichtsmediziner galt als besonnener Mann; wenn er so was schrieb, dann war das keine Übertreibung. Dr.   Granche arbeitete seit Jahrzehnten in der Gerichtsmedizin, ein derartiger Vermerk auf seinem Bericht konnte für den weiteren
     Gang der Ermittlung relevant sein.
    Lamartine seufzte. Er würde im Laufe des Tages zu Granche in den Keller hinuntergehen müssen – und nichts in dem weitläufigen,
     modrigen Gebäude am Quai des Orfèvres stieß ihn mehr ab als die Gerichtsmedizin mit ihren weiß gekachelten Seziersälen, deren
     Türen immer weit offenstanden, damit der Zugwind den Geruch der Verwesung durch die Kellerfenster hinaus auf die Seine wehen
     konnte. Jedesmal, wenn Lamartine das Blut und die Bauchfettlappen in den Spülsteinen sah, die sich an den Wänden der Seziersäle
     entlangzogen wie die Tränke einer Großviehhaltung, konnte er wochenlang kein Stück Fleisch mehr anrühren. Aber seit die Deutschen
     vor Paris standen, gab es ja sowieso kein Fleisch zu essen   ...
    Lamartine bat seine Assistenten herein und ließ sie Bericht erstatten.
    Georges Danquart, ein verschlossener, intelligenter Mensch von 24   Jahren, der überraschend von der Politischen Polizei zu Lamartines Abteilung versetzt worden war und sich immer etwas abseits
     hielt, sprach diesmal mehr als sonst. Der hagere Mann mit dem tiefschwarzen Bartschatten, dessen dünnes Haar über den Kragen
     wuchs, ermittelte seit einigen Tagen gegen eine gewisse Léontine Suétens, der er vorwarf, ihr neugeborenes Kind in den Fluß
     geworfen zu haben. Danquart war durch eine alte Akte auf die Suétens gestoßen, der Fall lag also schon einige Monate zurück.
    Lamartine wunderte sich über Danquarts Eifer. Bisher hatte sich der junge Mann nur mit Dienstanweisungen und Akten alter Fälle
     beschäftigt, und Lamartine hatte ihn gewähren lassen, weil er nicht genau wußte, was er mit dem Mitarbeiter anfangen sollte,
     der ihm aus heiterem Himmel ins Büro geschneit war und der von der Ermittlungsarbeit in Mordfällen keineAhnung hatte. Auf
     Lamartines Frage hin, womit er bisher bei der Politischen Polizei zu tun gehabt hatte, hatte Danquart geantwortet, er sei
     im Archiv tätig gewesen. Diese Antwort und Danquarts Interesse für alte Akten bestärkten Lamartine in der Ansicht, daß es
     sich bei seinem neuen Untergebenen um einen unfähigen Menschen handeln mußte, den die Kollegen zur Mordkommission weggelobt
     hatten.
    Um so erstaunter war er jetzt, als sich Danquart als ein Polizist entpuppte, der sich seine Fälle selbst suchte. Zwar war
     Lamartine damit nicht gedient, denn er hatte zu wenig Leute für die ihm von der Staatsanwaltschaft übertragenen Ermittlungen
     und konnte es sich nicht leisten, einen Mitarbeiter seine eigenen Wege gehen zu lassen. Aber er dachte sich, daß es von Nutzen
     sein könnte, Danquart den Fall der Kindsmörderin selbständig zu Ende führen zu lassen, um zu sehen, was er zu leisten in der
     Lage war, und ihm gleichzeitig das Gefühl zu geben, daß man ihn ernst nahm. Danach konnte er ihn immer noch in die Disziplin
     der Abteilung einbinden, und er würde auf diese Weise vielleicht auf lange Sicht einen wertvollen Mitarbeiter
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