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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
Autoren: Wolfgang Brenner
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Hinweis auf seine Identität.
     Die Kleidung war einschließlich der Leibwäsche von einer sehr guten, robusten Qualität. Eigenartigerweise entsprachen die
     Hände des Mannes nicht seiner Kleidung, sie waren zwar gewaschen, aber abgearbeitet und stark gerötet – wie bei einer Wäscherin.
     Unter den Fingernägeln fand Lamartine etwas, was er für Essensreste hielt. Die Tatsache, daß der Tote nichts bei sich trug,
     was Rückschlüsse auf seine Herkunft hätte geben können, deutete darauf hin, daß man ihn gefilzt hatte – daß er also gewaltsam
     zu Tode gekommen war und sein Mörder verhindern wollte, daß die Polizei durch die Ermittlung der Identität des Opfers zur
     Identität des Täters gelangte.
    Lamartine erhob sich ächzend.
    Er hatte die Visitation in der Hocke durchgeführt, und durch die Kälte schmerzten seine Sehnen nun bei jeder Bewegung. Lamartine,
     der alles andere als trainiert war, nahm sichvor, sich abends in die Badewanne zu legen, um einer drohenden Erkältung vorzubeugen. Der Schwiegervater hatte über einen
     ehemaligen Geschäftsfreund ein Bündel Holz besorgt und die seit der Schwangerschaft ihrer Tochter etwas zuvorkommendere Schwiegermutter
     würde ihm vielleicht den Badeofen anheizen – was nicht mehr und nicht weniger als ihre Pflicht war, brachte Lamartine doch
     mit seinem kargen Beamtengehalt Jeannes durch Spekulationen verarmte Eltern mit durch.
    Er befahl einem der beiden Polizisten, zurück zum Revier zu gehen und den gerichtsmedizinischen Dienst der Pariser Polizei
     zu benachrichtigen, damit der die Leiche mit einem Fuhrwerk abholen ließ und sie am Quai des Orfèvres eingehend untersuchte.
     Den anderen Kollegen forderte Lamartine auf, mit ihm zusammen die Gegend um den Fundort der Leiche abzusuchen. Lamartine nahm
     den Bereich rechts von der Bank in Augenschein, der Kollege den linken.
    Der Inspektor ging langsam in Richtung des breiten Zufahrtsweges und starrte dabei unverwandt auf die durch den Nachtfrost
     schorfige, von Rauhreif überzogene Erde. Je weiter er sich von der Bank entfernte, desto weniger hoffte er, noch etwas Aufschlußreiches
     zu finden: Der Boden war in der ungewöhnlich kalten Märznacht tief gefroren, er gab keinem Tritt, nicht einmal einem Wagenrad
     nach. Er sah zu dem Kollegen hinüber. Der Mann stapfte durch das trockene Unkraut, das das Dorngebüsch hinter der Bank umgab,
     und schaute dabei versunken wie ein Reisender auf einen Punkt am Horizont.
    Lamartine wurde wütend. Er schrie den Mann an, er solle sich gefälligst Mühe geben, wenn er nicht wollte, daß der Inspektor
     seinem Revierchef Meldung machte. Der Mann erschrak, senkte den Blick zu Boden, aber wie es schien – eher aus Scham über die
     Zurechtweisung als aus Diensteifer. Es hatte auch keinen Sinn: Wer den Toten so gründlich ausgenommen hatte, der hinterließ
     keine weggeworfenen Zigaretten oder andere Spuren.
    Der Inspektor wußte, was auf ihn zukam: Da der Fundort, der sicher nicht der Tatort war, keine Anhaltspunkte mehr aufwies,
     war er allein auf die Leiche angewiesen. Es würden langwierige Obduktionen erfolgen, die meistens nur Unsinn ergaben. Er hatte
     oft genug erfahren, wie widersprüchlich und unzuverlässig die Befunde der Gerichtsmediziner waren. Erst kürzlich hatte sich
     die gesamte Pariser Kriminalpolizei ausgeschüttet vor Lachen, weil ein verkrachter Chirurg, der, da man ihn ungern an lebende
     Patienten ließ, sein Auskommen beim Obduzieren fand, einem Mordopfer aus einem Dorf der Île-de-France aufgrund der vergrößerten
     Leber Trunksucht angedichtet hatte. Die Leiche erwies sich später als ein von fanatischen Antiklerikalen erschlagener Priester,
     dessen Mörder ihn seiner Kleider beraubt und in die Seine geworfen hatten. Der Mann hatte sein Leben lang keinen Tropfen Alkohol
     angerührt, und die geschwollene Leber stellte sich bei näherer Untersuchung als ein riesiges Hämatom heraus, das dem Priester
     von seinen Peinigern geschlagen worden war.
    Lamartine gab den Fall des Toten aus dem Bois de Boulogne insgeheim schon auf. Die Stadt war besetzt, überall lungerten deutsche
     Truppen herum. Allein auf den Champs-Élysées lagerten 30   000   Soldaten, die die Alleenbäume, unter denen sie biwakierten, nach und nach für ihre Freudenfeuer fällten. Die Franzosen trauten
     sich aus Angst vor Marodeuren nicht vor die Tür. Wie sollte er in einer solchen Situation Ermittlungen anstellen, die zur
     Identität eines Toten mit einer
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