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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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hatte schon vorher Vergiftungen durch Spinnen erblickt und gesehen, wie rasch sie wirkten. Zu rasch würde das Gift Lekkis Finger und Lider anschwellen lassen, ihre Kehle zuschnüren und sie ersticken.
    Auch Oki hatte schon Vergiftungen durch Spinnen gesehen. Sie warf sich über ihre Tochter und preßte den wild um sich schlagenden Körper Lekkis auf den Boden. »Sei ruhig! Sonst verteilst du das Gift.«
    Kurz glomm Vernunft in Lekkis glasigen Augen auf. »Ma ...« Das nur halbvollendete Wort war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.
    »Sei ruhig!« Oki blickte gequält auf die versammelten Fischerleute. Keva las ihre Gedanken aus den Augen ab. Es gab keine Arznei, die gegen Spinnengift wirkte, außer den Blattspitzen des Feuerkrautes, den glänzenden Blättern der schnellverblühenden Reben, die im Erdboden wuchsen und schon durch einen kurzen Lichteinfall verwelkten. Oki hatte am heutigen Morgen Feuerspitzen gefunden und in ihrem Versteck verborgen. Doch niemand war imstande, Lekki so zu beruhigen, wie sie es konnte. Niemand war in der Lage, sie still zu halten und dadurch das Gift daran zu hindern, durch den Blutkreislauf zu jagen. Wenn Oki Lekki verließ, um zu ihrem Versteck zu gehen ...
    »Ich werde gehen«, sagte Keva mit halberstickter Stimme. »Ich werde die Blätter holen. Oki – ich werde gehen.«
    Keva erwartete ein schnelles Nicken, einen raschen Befehl. Statt dessen zögerte Oki und hielt Lekkis um sich schlagenden Körper gegen den Boden gepreßt.
    »Ich werde gehen«,
beharrte Keva, bereit loszulaufen. »Ja«, antwortete Oki endlich in einem rauhen Flüstern. »Geh nur!«
    Keva verschwendete keine Zeit damit, sich über Okis Zögern zu wundern. Sie drängte sich durch die Menschenansammlung und lief, der Atem brannte in der Kehle.
Lekki
–ihre früheren Erinnerungen waren verzerrt, entstellt, viele waren überhaupt nicht zugänglich; aber sie erinnerte sich daran, wie einsam sie gewesen war, bevor Lekki geboren wurde, bevor es Lekki gegeben hatte, die sie baden, füttern und behüten konnte. Nur indem sie dem Heranwachsen Lekkis zugeschaut hatte, hatte sie angefangen zu spüren, daß sie eine von den Fischerleuten war, wie Oki es behauptete.
    Aber sie war es nicht.
Die Krise ließ ihren Verstand rascher arbeiten, und mit überwältigender Gewißheit kam ihr die Offenbarung, als sie durch die Bäume lief. Der bärtige Mann
– konnte nur ihr Vater sein.
Warum sollte sich Oki sonst weigern, über ihn zu sprechen? Warum bestand sie darauf, daß ein ertrunkener Weedfischer ihr Vater war, sooft Keva ihn erwähnte? Weshalb sonst sah sie wie er aus, mit schwarzem Haar, gebräunten Gliedern und geschwungenen Brauen? Sie taumelte gegen einen dick mit Moos bedeckten Baum und griff nach seinem rauhen Stamm; sie wollte dem Gedanken nicht bis zum logischen Ende folgen. Wenn der bärtige Mann ihr Vater und mit den Barohnas verwandt war ...
    Aber wenn sie mit den Barohnas verwandt war, warum war sie hier, bei den Weedfischern, zurückgelassen worden? Warum hatte Oki sie wie ihr eigen Fleisch und Blut großgezogen, trotz der Gefühle, die sie den Barohnas gegenüber hegte? Oki hatte sie stets hochfahrend und überheblich behandelt, als hätte sie Besitzansprüche auf sie. Konnte sich Oki jemandem gegenüber, der mit den Barohnas verwandt war, so verhalten? Hatte Oki ihr auch die Wahrheit über die Barohnas gesagt, oder hatte sie nur aus reiner Gehässigkeit so gesprochen?
    Es gab keine Antworten darauf. Kevas Blut kreiste so geschwind wie ihre Gedanken. Als sie den hohlen Baum erreicht hatte, kniete sie nieder und zerrte Moospfropfen hervor. Sie griff in die dunkle Höhle und zog verschiedene eingewickelte Bündel mit Kräutern und Arzneien hervor. Es war leicht herauszufinden, welches Bündel die Feuerspitzen enthielt, ohne sie alle aufzuwickeln. Ihre Hände fühlten die elastischen, frischen Blätter, und der scharfe, typische Geruch kam aus dem Bündel.
    Keva holte tief Luft, sprang auf und lief zwischen den Bäumen zurück. Mittlerweile hatte sicher jemand Wasser geholt und Stampfer, und ein anderer hatte die Wunde geöffnet, damit sie blutete. Wenn die Blattspitzen stark genug wären, und wenn Lekki den Blutverlust überstand ...
    Als Keva eintraf, rang Lekki nach Luft. Die Fischerfrauen bemühten sich eifrig um sie; eine machte einen Breiumschlag und preßte ihn auf die Wunde; eine andere hob den Umschlag zuweilen hoch und preßte frisches Blut aus der tiefen Wunde. Oki streichelte Lekkis Haar, um sie ruhig zu
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