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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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abend fragen, bevor er fortging. Oder überhaupt nicht.
    »Danior?«
    Seufzend erhob er sich vom Kissen, auf dem er vor sich hingeträumt hatte. Tedni hockte vor ihm, seine Augen waren hell und unruhig. Unwillkürlich wappnete sich Danior gegen etwaige Forderungen. »Ist das Essen fertig?« Er hatte Jhaviir gesagt, daß er sofort nach dem Essen gehen und während der Nacht wandern würde, um der Tageshitze zu entgehen.
    »Bald. Danior ...«
    Danior wartete, durch Tednis momentane Schüchternheit aus dem Konzept gebracht. Zögern sah Tedni nicht ähnlich. Ganz bestimmt sah es ihm nicht ähnlich, Fragen zu stellen, statt ungeniert zu fordern. »Was kann ich dir geben?« fragte Danior, als die Forderung ausblieb.
    Tedni senkte die Augen und verbarg seinen gierigen Blick. Als er wieder aufschaute, hatte er etwas von der leichten Autorität seines Vaters an sich. »Es gibt unter den Kri-Nostri ein Gesetz – genannt das
Baldoca-Baldat.
Der Unterricht der Brüder«, sagte er. »Es schreibt vor, daß, wenn Brüder vorhanden sind, sie einander unterrichten und einander mitteilen, was sie wissen. Wenn einer einen Ort kennt, zeigt er ihn dem anderen, so wie ich dir Pan-Vi und die Wüste gezeigt habe. Und dir besser gezeigt habe, als jemand anderes es dir hätte zeigen können, weil wir Rauth-Brüder sind. Und natürlich weil ich der älteste und stärkste Sohn meines Vaters bin. Und dann, wenn der andere sich auf eine Reise vorbereitet, wenn er sich anschickt, zu Orten zu gehen, die der erste Bruder noch nicht gesehen hat, ist er an der Reihe zu lehren. Zu zeigen. Es ist unter Brüdern eine Pflicht.«
    Nur Tednis lauernder Blick sagte Danior, daß er ein nichtexistentes Gesetz beschrieben hatte. Er lehnte sich langsam zurück. War es denn so verwunderlich, daß Tedni mit ihm gehen wollte? Einen Bruder haben wollte, der ihm den Weg durch fremde Länder zeigte; Länder, die er andernfalls niemals besuchen würde? Natürlich hatte sich auch Danior nach Brüdern gesehnt, die ihm andere, fremde Gegenden hätten zeigen können. »Warum bittest du mich so
    förmlich?« forderte er ihn heraus. Er hatte gelernt, daß er mit Tedni so scharf sprechen konnte, wie er wollte, und damit kaum mehr als ein anerkennendes Lachen hervorrief.
    Doch diesmal lachte Tedni nicht. Er rutschte auf den Knien vorwärts, die Augen noch stärker zusammengepreßt.
    »Um dir zu zeigen, wieviel ich bereits gelernt habe«, sagte er prompt. »Ich habe meinen Vater sagen hören, daß die Menschen in den verschiedenen Gebieten Brakraths nicht in derselben Art reden und sich verhalten. Ich habe ihn sagen hören, daß er es erst lernen mußte, wie ein Wüstenmann zu sprechen und sich so zu benehmen, bevor er hier leben konnte.
    So habe ich dich und ihn, wenn er privat war, beobachtet, und mich jetzt entschlossen, daß ich die Bräuche anderer Orte meistern kann. Es sollte dich eigentlich gar nicht überraschen, daß ich Umgangsformen lernen kann, wo ich doch der älteste Sohn des Viir-Nega und einer der besten Arbeiter und der stärkste Soldat bin.«
    Dann hatte er bereits damit angefangen, seine Manieren für die Reise zurechtzustutzen. »Natürlich mußt du noch ein paar Dinge lernen«, erwiderte Danior, nur weil es gesagt werden mußte.
    Diesmal lachte Tedni scharf. »Natürlich muß ich noch etwas lernen. Und da du mein Rauth-Bruder bist, ist es deine Pflicht, mich zu unterrichten. Ich habe bereits meine Besitztümer eingepackt. Ich möchte, daß du sie dir einmal anschaust und mir sagst, ob ich etwas vergessen habe.«
    »Ich frage mich – hast du vielleicht vergessen, deinen Vater zu fragen,. ob du fortgehen kannst?«
    »Hast du vielleicht vergessen, das ich jetzt zwölf Jahre alt bin?« erwiderte Tedni sofort. »Wohin ich gehe, ist keine Angelegenheit, die mein Vater entscheiden muß. Obwohl ich sicher bin, daß er mir sein bestes Messer und eine Klinge zum Wechseln mitgeben wird. «
    Er war sich dessen so sicher, dachte Danior, daß er sie wahrscheinlich bereits eingepackt hatte. Und er wollte die Welt sehen: den Wald, die Rauhen Länder, die Ebene, die Berge. Wollte neue Sitten kennenlernen, neue Lebensweisen. Wollte wachsen und seinen eigenen Weg finden. Danior brauchte nur kurz darüber nachzudenken, um sich klar zu werden, daß er sie ihm zeigen wollte. Ihn unterrichten wollte, von Bruder zu Bruder. Vielleicht gab es sogar etwas, was er von Tedni lernen konnte.
    »Bring mir deine Sachen«, sagte er. »Ich werde nachsehen, ob du noch etwas vergessen
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