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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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wo immer er auch hinging?
    Konnte er es ertragen, sie ungehört hier zurückzulassen? Einen Augenblick lang, während er noch zögerte, schien es Danior, als prüfe Jhaviir ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Fragte stumm, ob er den Mut hätte, die weiße Seide zu tragen – oder den Mut, sie unberührt zu lassen.
    Was wäre, wenn er sie jahrelang trüge und doch niemals ihr Geheimnis erführe? Nie erführe, wo Birnam Rauth festgehalten wurde und von wem? Nie erführe, ob er noch lebte?
    Doch er hatte den weißstämmigen Wald und seine Bewohner gesehen. Er hatte die Konstellation der Sterne durch die Bäume gesehen. Gäbe man ihnen diese Details, so mochten die Arnimis in der Lage sein, ihre gespeicherten Unterlagen zu befragen und ihm zu sagen, auf welcher Welt Birnam Rauth festgehalten wurde. Und dann, wenn es einen Weg gäbe, diese Welt zu erreichen ...
    Danior erwog das alles und traf seine Entscheidung. Er zog die weiße Seide aus der Kiste.
    Sie lag glatt und kühl in seiner Hand. Er befeuchtete die Lippen, war sich der Kinder bewußt, die ihn anstarrten; bereit, in Geschrei auszubrechen. Jhaviir brachte sie mit einem Stirnrunzeln zum Schweigen und beobachtete, wie er die Seide mit zitternden Fingern auseinanderfaltete und sie sich behutsam um die Taille band.
    Im Zimmer gab es keinen Wind, so konnte die Seide nicht sprechen. Doch später, wenn er durch die Wüste ginge, würde ihre Stimme ihm folgen. Bittend. In einer fremden Zunge von Isolation und Gefangenschaft sprechen.
    Er vermochte augenblicklich nicht viel zu essen, obgleich selbst die jüngsten Kinder ihm von ihren Tellern Leckerbissen aufdrängten. Er war sich der Seide um seine Taille und der Reise, die vor ihm lag, zu bewußt.
    Und daß er bald oder überhaupt nicht mit Keva sprechen mußte.
    Während des Essens fand er keine Gelegenheit dazu. Es fand sich auch keine Möglichkeit, als er und Tedni ihren Besitz zusammensuchten und sich auf den Rücken schnallten. Es ergab sich keine, während sie durch die Gassen von Pan-Vi gingen, hinter ihnen alle Menschen des Clans, mit Fackeln in den Händen. Da erkannte er bedrückt, daß er früher mit ihr hätte sprechen sollen.
    Sie näherten sich der großen Glaswand, und Jhaviir ließ die Menschen des Clans anhalten. Er besiegelte den Abschied mit einem Händedruck; nahm zuerst Daniors Hände in die seinen, dann Tednis. »Kehrt mit dem Frühling zurück, ihr beiden«, bat er. »Wir brauchen gute Arbeiter und starke Soldaten.«
    Danior erkannte, daß Tedni plötzlich durch den Schritt, den er gewagt hatte, eingeschüchtert war. Er drehte sich um und schaute Danior mit verzweifelten Augen an, und Danior erkannte, daß sie sofort gehen mußten, ehe Tedni die Nerven verlor. Er warf Keva einen nervösen Blick zu; er wünschte sich, er könne die Frage hier stellen. Doch es war eine persönliche Frage, und um sie drängten sich die Menschen von beiden Seiten näher.
    Offensichtlich hatte sie in seinem Blick etwas gelesen. Sie wandte sich zu ihrem Vater und sagte rasch: »Ich werde ein paar Minuten mit ihnen wandern. Warte nicht auf mich.«
    Erleichtert kroch Danior durch das Portal. Keva und Tedni folgten. Als Danior zurückschaute, schimmerten die Fackeln durch die dicke, rauhe Glaswand; es war, als winke sie. Tedni wandte sich um und blickte ehrfürchtig zurück.
    »Danior?« drängte Keva, während sie seinen Arm berührte.
    Gespannt sah er ihr in die Augen. Es waren die Augen einer Barohna, weitblickend und tief. Die Haut auf Gesicht und Armen war dunkelgebrannt durch das Feuer, das sie angezogen hatte, um die Glaswand zu bauen, die die Umrisse Pan-Vis nachzeichnete.
    Während des Sommers war er gewachsen und jetzt so groß wie sie. Die Arbeit in den Gärten hatte ihn muskulös gemacht. Nichts, schätzte er, würde ihn jemals wieder dazu bringen, sich klein zu fühlen.
    Er fühlte sich noch unentschlossen – wie, das hatte er gelernt, sich jeder zuweilen fühlte, selbst Jhaviir. Unsicher, ängstlich, selbst erschrocken. Er und Keva waren vielleicht Menschen, wie man sie nie zuvor auf Brakrath gesehen hatte; aber mit ihnen waren keine neuen Gefühle geboren worden und keine alten verlorengegangen. »Keva ...« Unbewußt umklammerte er den Paarungsstein, der dunkel an seinem Hals hing. »Keva, wenn ich den Edelsteinmeister, wenn er ins Tal kommt, darum bitte, zwei neue Paarungssteine zu schneiden – willst du einen davon tragen?«
    Er wußte, daß er mit dieser Bitte einiges wagte. Er fragte sie nicht, ob sie
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