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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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tun sollten, außer weiterzulaufen, auf die brennenden Speere und die Brocken flüssigen Glases zu, die auf sie hinabzuregnen begannen. Denn jedesmal, wenn Keva ihr Feuer gegen die Speere schleuderte, fing es auch den schwebenden Sand ein, schmolz ihn, und flüssiges Glas fiel vom Himmel.
    Sie mußte beinahe lachen. Natürlich! Rezni hatte es ihr gesagt, Tedni hatte es ihr erzählt, ihr Vater hatte davon gesprochen – die Scheiben in Pan-Vi waren aus geschmolzenem Sand mit all seinen Unreinheiten hergestellt worden. Und jetzt stellte auch sie Glas her. Es regnete auf die Erde, und als der Regen stärker wurde, drehten sich endlich die ersten, schreienden Clansmänner um und flüchteten.
    Glas.
Doch selbst als die ersten Clansmänner flüchteten, nahmen andere ihre Plätze ein, die Speere zum Angriff erhoben.
Glas.
So glatt geformt. Die ersten Kügelchen kühlten bereits auf dem Boden ab. Gab es im Glas eine Antwort? Wenn es so war, mußte sie sie schnell finden, denn Danior blutete. Schnell, weil sich immer mehr und mehr Speere erhoben.
    Schnell. Sie holte tief Luft und ließ das Armband leuchten, während sie von überallher den Sand anzog. Sie zerrte ihn in dicken Schichten in die Luft und richtete ihr Feuer darauf. Richtete so viel Feuer auf so viel Sand, daß, wo vorher Sand gewesen war, jetzt Scheiben aus geschmolzenem Glas in der Luft hingen. Glühend, leuchtend und so heiß, daß sie fühlte, wie ihre Lippen austrockneten.
    Sie hielt die Scheiben so lange an ihren Plätzen, wie sie dazu imstande war. Speere versanken dort, gruben sich ein oder fingen Feuer. Ein Clansmann, der nicht schnell genug anhalten konnte, streckte seine Hände aus, und das Fleisch darauf verbrannte. Ein anderer verlor das Gleichgewicht, stürzte in die geschmolzene Schicht und starb in lautlosem Aufglühen. Andere drehten sich um und liefen mit versengten Gewändern und rauchendem Haar davon.
    Langsam ließ Keva die geschmolzenen Glasvorhänge hinabsinken. Sie falteten sich zusammen, bis sie zu einer dickgefältelten Wand wurden. Einer Wand, die sie von den Clansmännern trennte. Einer Wand, die ihre Speere auffing, ihre Schreie dämpfte. Keva stieß die Luft aus, und benommen wurde ihr klar, daß sie die Clansmänner in die Flucht geschlagen hatte. Sie liefen wild durcheinander in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Liefen ohne jede Ordnung.
    Keva hielt die geschmolzene Wand an ihrem Platz, bis sich die Falten verfestigten. Dann holte sie tief Luft und drehte sich unsicher um. Was würde sie vorfinden?
    Danior lag halbausgestreckt auf dem bloßen Boden, eine Hand gegen die Schulter gepreßt, und starrte sie ungläubig an. Seine Kleider waren zu Asche geworden. Sein Fleisch dunkelgebrannt. Selbst sein Haar schien verbrannt. Doch er kam ohne sichtbaren Schmerz auf die Füße.
    Auch ihr Fleisch war dunkelgebrannt, doch es gab keinen Schmerz und keine Blasen. Ihr Haar – beunruhigt hob sie die Hand, um es zu berühren, doch es fiel nicht als Asche vom Kopf. Es war von einer neuen Beschaffenheit – gröber und stumpfer – aber nicht verbrannt. »Mein Haar ...«, sagte sie erstaunt, als hätte sie alles andere – die Glaswand, den Sieg über die Clansmänner – erwartet, nur das nicht. Und schien es ihr so, als wäre sie größer geworden? Daß ihre Arme und Beine länger, ihre Schultern breiter geworden waren? Daß sich selbst ihre Gesichtszüge verändert hatten? Sie hob vorsichtig die Hand und stellte fest, daß ihre Gesichtszüge kühner, kräftiger geworden waren. Ihre Augen ruhten jetzt tiefer, ihr Kiefer war ausgeprägter.
    Danior beobachtete ihre behutsame Musterung und brachte ein halbersticktes Lachen zustande. »Hat ... hat dir schon einmal jemand die Legende von Lensar und Niabi erzählt?«
    »Lensar?« Der Name war ihr unbekannt. Und warum fragte er sie in diesem Augenblick danach? »Nein.«
    »Der erste Edelsteinmeister und die erste Barohna. Eines Tages werde ich sie dir erzählen«, versprach er mit bebender Stimme. Er zog versuchsweise die Hand von der Schulter. »Die Hitze ... der Speer in meinem Arm brannte und versiegelte die Wunde.«
    Sie starrte auf die zusammengezogene Wunde, das schwärzliche Fleisch, das sie umgab. »Ich begreife es nicht«, sagte sie, plötzlich von einem Schwindel gepackt. Hatte sie das wirklich getan? Hatte sie wirklich die Sonne herabgerufen und Hunderte von kreischenden Clansmännern in die Flucht geschlagen? Sie konnte es nicht glauben. Doch die Wand stand vor ihr. Sie
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