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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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hartes Land und harte Bräuche abgehärtet worden, nicht wie diese Männer.
    »Halt«, schrie sie und wußte doch, daß es sinnlos war. Sie und Danior hatten sich verschätzt. Sie waren gekommen, um Männer zur Vernunft zu bringen, die über die Vernunft hinaus waren.
    Der erste der mit Knochenspitzen versehenen Speere flog so nah an ihr vorbei, daß sie den Luftzug am Arm spürte. Er blieb zitternd neben ihr im Boden stecken. Der zweite Speer berührte ihr Bein, und Keva fühlte, wie ihr Blut raste, wie es schrill in ihren Ohren sang. Zuerst wollte sie aus einem wütenden Impuls heraus jedes einzelne Sandkorn in Reichweite aufrufen, daß es das Fleisch der Männer abschliff, die ihre Speere gegen sie erhoben.
Wilde. Tiere.
Doch sie hörte Danior in Fon-Delar schreien – kreischen; sah, wie er den Paarungsstein hielt und wußte, daß sie es nicht tun mußte. Sie mußte auch hart sein, in der Art einer Barohna. Sie mußte Stein sein, wo sie lebte; gefeit gegen ihre eigenen ungezügelten Triebe.
    »Lauf!« schrie sie Danior zu, doch Danior stolperte nur einige Schritte rückwärts.
»Lauf!«
    Wie konnte er davonlaufen, da doch Speere den gleißenden Sandwirbel durchschnitten, sich überall in den Boden gruben – da einer sich in seine Schulter grub? Keva starrte ihn kurz ungläubig an und dachte seltsamerweise an das
    kleine Tier, das er und Rezni in einer Falle gefangen hatten, als sie durch die Wüste gegangen waren. Daniors Gesicht zeigte weder Schmerz noch Staunen. Er taumelte einfach nur mit vor Entsetzen starrem Blick rückwärts. Seine Lippen bewegten sich, aber sie konnte die Worte nicht entziffern.
    Vielleicht teilte er ihr jetzt mit, was er von ihr hatte lernen wollen. Weshalb er hierher gekommen war.
    Vielleicht war er einfach nur hierher gekommen, um seine einsame Verwirrung mit der ihren zu verbinden. Sie wirbelte zornig herum und hob instinktiv den Arm der Morgensonne entgegen. Sie war rotgolden, Licht und Feuer. Sie stand prall am Himmel. Prall, mit der ganzen Energie, die sie brauchte.
    Der ganzen Energie, die sie nicht nutzen durfte.
    Sie holte heiser Luft und zog die Sonne irgendwie in ihr Feuerarmband. Zog sie an, ohne zu ahnen wie. Ihr Herz sprang gegen den Brustkorb. Ihre Lungen fingen Feuer, und das Armband strahlte so hell, daß sie kaum noch den stürmischen Sand und die Clansmänner sehen konnte. Wenn Danior starb, würde sie es nie lernen, Gedanken mit ihm zu teilen. Würde sie niemals den einsamen Ketten ihres Verstandes entkommen.
    Sie holte noch einmal Atem, hielt ihn an, und ihr Zeitgefühl wurde verzerrt; sie blickte auf Danior hinab und sah, wie er sich langsam, wie bei einem Tanz, im Sand wand. Sein Körper rollte. Seine Hände hoben sich. Sie griffen nach dem Speer – vergebens. Seine Beine schlugen gegen den Sand – aber langsam, so langsam. Er starrte hilflos auf ihr stark strahlendes Feuerarmband. Dann rollte er noch langsamer auf die Seite und drückte sein Gesicht in den Sand.
    Sie ließ kostbare Augenblicke verstreichen, während derer sie auf ihn starrte und sich fragte, warum er versuchte, sich einzugraben. Nach einer Weile wurde ihr klar, daß es wegen ihres strahlenden Armbandes war. Er hatte ihre Raserei gesehen und nahm jetzt an, daß es eine Flamme über ihn verbreiten würde.
    Keva erkannte, daß sie nicht ihre Wut über ihn verstreuen durfte. Und nicht über die Clansmänner.
Stein. Sie mußte dort Stein sein, wo sie lebte.
Sie wandte sich fast gleichgültig um und schleuderte Feuer gegen die Speere, die in der Luft hingen. Sie loderten auf und zerfielen zu Asche. Auch ein Clansmann in den vorderen Reihen brach in Flammen aus. Sein Schrei kam langsam, ein dunkles Knurren. Als sie der Geruch nach verbranntem Fleisch erreichte, schauderte sie und fühlte sich einen Augenblick lang in der zeitlichen Verzerrung gefangen, die sie geschaffen hatte. Sie hatte hier so viel Zeit, das Gewicht ihrer Verpflichtungen zu spüren; so viel Zeit, zu erkennen, daß sie die einzige war, die die Situation retten konnte – und daß sie nicht mehr wußte, wie sie es tun sollte, obwohl sie es noch vor ein paar Minuten gewußt hatte.
    Und die Clansmänner liefen weiter. Langsam, die Gesichter von deutlich ausgeprägter Panik verzerrt. Sie liefen weiter, weil sie nicht wußten, wie sie die Situation sonst retten sollten. Sie wußten nicht, wie sie die Frau vernichten sollten, die ihre Speere verbrannt hatte. Wußten nicht, wie sie den Rückzug antreten sollten. Wußten nicht, was sie sonst
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