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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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nicht mehr so einsam, wie man es tat, wenn man nur mit den eigenen Gedanken lebte.
    Müde und besorgt schloß sie die Augen und schlief endlich ein, der Sand unter ihr rieb gegen ihre Haut.
    Sie träumte mit peinigender Intensität. Träumte Bilder, Gefühle und Veränderungen. Ihr wurde klar, daß es lang unterdrückte Erinnerungen sein mußten. Ihre Mutter, die einen Felsweg hinaufkletterte, dann anhielt und einen Schneeball formte und ihn lachend fortschleuderte. Die
    Stimme ihrer Mutter, die lauter wurde, und ihre Angst, sie hätte sie gekränkt. Die Eifersucht, als ihr Vater auf einem großen Tier geritten kam und zuerst ihre Mutter begrüßte. Das Entsetzen, als der Schnee den Abhang hinunterdonnerte. Die stumme Furcht, daß sie ihn auf irgendeine Art, durch ihre Eifersucht, in Bewegung gesetzt hatte.
    Und dann das Unbegreifliche, als ihre Mutter den Schnee nicht von sich schüttelte, um weiter den Berg hinabzugehen. Das Nichtbegreifen und die sich steigernde Angst vor den
    stummen Bergen, die Zeuge dessen waren, was sie getan hatte.
    Aber sie hatte den Schnee nicht hinabgerufen. Das war einfach nur das Mißverständnis eines Kindes gewesen; ein Mißverständnis, von dem sie niemals gewußt hatte, daß sie es mit sich herumtrug. Bis jetzt.
Ein Mißverständnis. Sie
prüfte es; schlafend, träumend; sah den Schaden, den sie sich dadurch zugefügt hatte, und sprach sich frei.
    Sie erwachte bei Sonnenaufgang, und unvergossene Tränen schnürten ihr die Kehle zu. Erwachte mit dem Gefühl, daß, während sie geschlafen hatte, Entscheidungen getroffen, Kanten beigeschliffen und die Veränderungen akzeptiert worden waren. Keva setzte sich auf und schaute um sich. Danior lag mit zusammengepreßten Augen, die Hand fest um den Stein geschlossen, zusammengerollt im Sand. Sie stand auf, wischte sich den Sand von den Kleidern und blickte auf die aufgehende Sonne, die schon immer auf dieses Land herabgeschaut hatte.
    Dieselbe Sonne, von der die Barohnas stets ihr Feuer herabgezogen hatten. Sie leckte sich die Lippen, kniete neben Danior nieder und musterte das Feuerarmband. Sie fragte sich, was er wohl denken würde, wenn er lesen könnte, was sie jetzt dachte: daß es an der Zeit war, das Armband zu tragen.
    Nach einer Weile erwachte Danior; er holte tief Luft und öffnete die Augen. »Er ist wach. Garrid ist wach«, sagte er.
    »Und die anderen?« Ihre Stimme schien nicht zu ihr zu gehören. Sie hatte während des Schlafes eine endgültige Wiederannäherung zu sich selbst gemacht. Hatte akzeptiert, daß sie am Tode ihrer Mutter unschuldig war. Hatte erkannt, daß wütend zu sein nicht heißen mußte, etwas zu zerstören. Und indem sie das akzeptiert hatte, war sie in eine neue Lebensphase getreten, in eine neue Bereitschaft. Mit dem neu gewonnenen Gefühl innerer Freiheit fragte sie sich, was diese Bereitschaft ihr noch bringen würde.
    »Die anderen Fon-Delars sind ebenfalls aufgewacht.« Danior setzte sich auf und fuhr sich mit der Hand übers Ge
    sicht. Er schaute in die Sonne und ergriff erneut den Stein für kurze Zeit. »Sie sind in der Nähe«, sagte er, als er ihn losließ.
    In der Nähe.
Aber die Clansmänner waren seit der Nacht, in der sie den Minx getötet hatte, immer in ihrer Nähe gewesen. Seitdem hatten sie unsichtbar am Horizont ihres Lebens gewartet. Vielleicht sogar schon vorher. »Ich möchte das Armband«, sagte sie.
    Sie sprach so ausdruckslos, daß er anfangs nicht verstand, was sie wollte. »Sie sind ... Was?«
    »Ich möchte das Armband.« Sie wollte es tragen und die Sonne auf ihrem Handgelenk brennen spüren. Es tragen und tun, was getan werden mußte. Denn das war es, was die Barohnas stets getan hatten – was sie tun mußten. Ihre Mutter hatte das Armband fortwerfen müssen. Jetzt mußte sie ihres anziehen.
    Daniors Pupillen wurden klein, seine Lippen weiß. »Du weißt nicht, wie man damit umgeht.«
    Natürlich wußte sie nicht, wie man damit umging. Sie hatte es ja kaum berührt. Sie ließ eine Fingerspitze über der geschliffenen Oberfläche schweben und war über ihr Gefühl des Losgelöstseins erstaunt. Angst, Verwirrung, Wut – alles war verschwunden, geblieben war nur Gewißheit. »Ich werde heute lernen, es zu benutzen.«
    »Nein.
Ich ... ich bin auf dem Weg, um mit ihnen zu reden. Ich habe die Worte erfahren, die ich wissen mußte. Ich weiß, wie ich ihnen sagen kann, daß wir nicht beabsichtigen, ihre Schafe zu verbrennen. Ich weiß ... wenn du den Sonnenstein benutzt ...«
    Sie
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