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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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sie es herausfinden, wenn sich erst Gerüchte über das unerklärliche Verschwinden von Menschen und die hinterlassenen Symbole ausbreiteten.
    Außerdem hatte Ostvel vielleicht Recht gehabt, und Unschuldige starben zusammen mit den Schuldigen. Aber immer, wenn er etwas Derartiges dachte, erinnerte er sich an narbige Gesichter und das blutrote Meer. An Radzyn in Flammen. Wenn ein paar fälschlicherweise starben, weil man Zauberer ausradierte, die eine Armee der Merida zu derartiger Zerstörung anführten, dann war das ein akzeptabler Preis. Alasens Hass war für ihn schwerer zu ertragen. Aber eines Tages würde sie alles verstehen. Er würde sie und alle anderen vor dem retten, was seine Visionen ihm gezeigt hatten. Sie würde verstehen und verzeihen.
    Sollte sich Pol mit seiner blassen, hübschen Meiglan paaren und die Prinzenmark regieren, so lange er konnte. Sollten Rohan und Sioned und sie alle in zufriedener Unwissenheit leben, so lange sie konnten. Andry wusste, was kommen würde. Und was immer er tun musste, um dieses zu verhindern, würde er tun – und zwar freudig.
    Er war von der Göttin erwählt, diese Vision der Zukunft zu empfangen. Sie hatte ihm auch die Macht gegeben, sie zu verhindern.
    Andry trat durch die niedrige Tür in die schattige Hütte. Die spärliche Einrichtung war sehr einfach – Stuhl, Tisch, Bett, ein paar Teller, Tassen und Schüsseln auf einem Regal und eine kleine, kalte Feuerstelle mit einem Kupferkessel und einem Eisenkessel. Es roch wundervoll. Getrocknete Kräuter hingen von den Balken, und ihr prickelnder Duft wurde noch unterstrichen durch den feuchten, lebenden Baum, der die Rückwand der Behausung bildete. Es gab nichts Außergewöhnliches, nichts, was darauf hindeutete, dass die Frau etwas anderes war, als sie zu sein vorgab.
    Aber aus dem Schatten blinkte halb verborgenes Silber. Andry näherte sich vorsichtig. Ein schöner, alter Teppich, der Blumen und Kräuter darstellte, war über irgendetwas drapiert, was fast so groß war wie er selbst. Ein Rahmen schaute aus den Falten hervor.
    Andry zog den Stoff beiseite und hielt den Atem an. Ein ovaler Spiegel, gekrönt von einem Bogen mit drei Spitzen, die Kanten in Facetten geschliffen, ohne einen Fleck oder einen Riss im Glas. Aber ohne Spiegelbild! Sein eigenes Gesicht hätte ihm entgegenblicken sollen. Aber da war nur silbergrauer Nebel.
    In den anderen Diarmadhi -Behausungen hatte es keine Spiegel gegeben. Mireva hatte einen benutzt, um Chiana zu kontrollieren, und hatte ihn zu Andrys Ärger zerschmettern lassen. Nichts in der Sternenrolle deutete auf ihren Einsatz bei der Zauberei hin, abgesehen von diesem Befehl, sie alle zu zerstören. Spiegelzauber waren wohl den sehr Mächtigen vorbehalten. Und hier war ein wunderschöner Spiegel, mit dem er experimentieren konnte, wenn er nur hinter sein Geheimnis kommen konnte.
    Er untersuchte den Rahmen und bewunderte die Handwerkskunst, die ihn geschaffen hatte. Er hatte vielleicht Sterne oder ähnliche Motive erwartet; stattdessen rankten sich Dranath -Blätter, in Silber geschnitzt, an den Seiten empor. Andeutungen von alten Emaillearbeiten steckten noch in Flecken von Blau, Grün und Orange. Hier und dort waren Dellen und andere kleine Schäden, die der Spiegel im Laufe seiner langen Dienstzeit bekommen hatte, aber das Ganze war mit liebevoller Sorgfalt poliert. Er betrachtete das friedliche, bildlose Glas lange Zeit. Gab es ein Wort oder eine Tat, die den Spiegel zum Leben erwecken würde? Konnte er wagen, das herauszufinden?
    »Ich frage mich, was Andrade mit dir angefangen hätte«, murmelte er, als könnte der Spiegel ihm antworten. Wie mochte er funktionieren? Lichtläufer benutzten Licht: Sonne, Monde, Feuer. Zauberer zogen das Sternenlicht vor, lehnten andere Quellen aber auch nicht ab. Er beschloss, es zu riskieren, und beschwor eine Fingerflamme. Der Spiegel schien für Bruchteile zu beben. Ermutigt dachte er das kleine Feuer ein wenig heller, und wieder bemerkte er ein zartes Beben, halb gespürt, halb gesehen. Aber der graue Dunst blieb. Es kam kein Bild.
    Er warf einen Blick über seine Schulter und rief: »Valeda! Komm herein und sieh dir das an!«
    Ein Hauch zog an seinem Geist vorbei. Irgendetwas. Als er sich wieder dem Spiegel zuwandte, war der graue Dunst verschwunden. Valeda war nicht in die Behausung getreten, aber sie war deutlich im Spiegel zu sehen. Und um ihren Körper lag das kühle, leuchtende Spektrum ihrer Farben. Dieselben Schattierungen, die er
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