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Sternenfaust - 056 - Die Verschwörung (2 of 2)

Sternenfaust - 056 - Die Verschwörung (2 of 2)

Titel: Sternenfaust - 056 - Die Verschwörung (2 of 2)
Autoren: Luc Bahl
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und Jenseits seit altersher erzählt wurden. Der lange, tunnelartige Gang mit dem strahlenden Licht am Ende gehörte sicherlich zu den eindringlichsten und zugleich populärsten Bildern, mit denen die Nahtoderfahrung beschrieben wurde. Von Menschen, die auf der Schwelle standen und doch wieder ins Leben zurückgerufen werden konnten.
    Trotz seiner langjährigen Ausbildung als Christophorer, die naturgemäß auch viele religiöse und theologische Aspekte einschloss, gab es bei Bruder William eine verborgene Seite, die keiner – wirklich niemand außer ihm selbst – kannte. Weder seine Familie, noch seine ehemaligen Lehrer, auch Rana Quaid nicht, mit der er ansonsten ziemlich viel teilte. All die von den Betroffenen sicherlich sehr ernst gemeinten Schilderungen, die auf den angeblichen Nahtoderfahrungen beruhten, lösten in ihm einen Reflex aus, der – würde er ihm nachgegeben – ein Grinsen auf sein Gesicht gezaubert hätten.
    Es mochte wohl eine bei vielen Menschen ähnliche Erfahrung sein, aber wenn sie den Fängen des Todes wieder entrissen wurden, schilderten sie ihre Erlebnisse mit der Sprache und dem Denken der Lebenden. Wie schwierig es war, etwas ganz Unbekanntes und doch Allgemeingültiges und Alltägliches wie den Eintritt in den Tod und das, was sich in diesem Moment ereignete, zu beschreiben, machte er sich an einem anderen, leichteren Beispiel deutlich.
    Fast jeder kennt es, wenn er morgens nach einem lebhaften Traum aufwacht und versucht, sich diese zugleich fremde und vertraute, phantastische Welt ins Tagesbewusstsein zu rufen und Worte dafür zu finden. Es wird immer Stückwerk bleiben. Man wird immer das Gefühl zurückbehalten, Wichtiges vielleicht sogar das Wesentliche des Traumes vergessen zu haben. Möglich, dass das Wort »vergessen« in diesem Zusammenhang unpräzise ist. Man weiß nur, dass einem da etwas unwiederbringlich durch die Finger geglitten ist.
    Zu den berühmten Nahtoderfahrungen, von denen Bruder William berichtet worden war, zählte auch das Gefühl, dass sich die Seele aus dem Körper löste und eine Zeitlang über dem eigenen Leib schwebte, bevor sie sich auf den Weg durch den Tunnel machte, dem Licht entgegen.
    Das, was Bruder William in diesem Moment durchmachte, erinnerte nur oberflächlich an derartige Schilderungen. Er war aus seinem Körper herausgetreten. Und es gab ein weißes Licht. Doch hier endeten schon die Gemeinsamkeiten. Bruder William ahnte, dass ihm sein überreiztes Gehirn einen Streich spielte. Dass all die Informations- und Wissensflut, die im Verlauf der Jahrzehnte durch seine Wahrnehmung in sein Gedächtnis gesickert war, nicht ausreichte, das, was gerade tatsächlich geschah, mit entsprechenden Bildern auszukleiden.
    Das, was geschah, ereignete sich auf der Grundlage einer geistig unendlich höheren Entwicklungsstufe. Seine Fassungslosigkeit, die in ihrer Verzweiflung auf bekannte Muster zurückgriff, wäre mit dem Unverständnis vergleichbar, das ein Neolith nach einem Zeitsprung von mehreren zehntausend Jahren angesichts der modernen Raumfahrt empfinden würde.
    Das Licht badete ihn.
    Es fühlte sich nicht schlecht an. Obwohl die glitzernden Strahlen ihn wie eine Häckselmaschine zerteilt hatten. Er war von dem Licht in dünne Scheiben geschnitten worden. Jede war ein vollständiges Exemplar von ihm. Er existierte in dieser x-fachen Vervielfältigung wie sein eigenes Volk. Unüberschaubar, wuselig und jedes Ich besaß den gleichen Überblick, das gleiche Bewusstsein, war auf exakt dem gleichen Stand der Dinge wie alle anderen ringsherum. Und dazwischen das pulsierende grelle Licht, das immer weiter und immer mehr Exemplare aus ihm herausspaltete.
    Gleichzeitig mochte er in Wirklichkeit zerschmettert und unrettbar verloren im Buchstabenlabyrinth der Toten Götter liegen. Atomisiert, aber noch nicht tot.
    Das kann nicht das Jenseits sein! Ein Gedanke gedacht von unzähligen Gehirnen, die nur über ein singuläres Bewusstsein verfügten: seins.
    War das seine Prüfung?
    Sein persönliches Fegefeuer, das seine Seele reinigen sollte? Fand gleichzeitig das jüngste Gericht statt, bei dem seine Sünden aufgewogen würden und leichter sein müssten als eine Flaumfeder aus dem Flügel eines Engels? Oder bereitete sich seine seelische Energie gerade auf den großen Kreislauf aus Leben, Tod und Wiedergeburt vor? Dann müsste das Licht ihn in noch viel kleinere Stücke zerteilen. Denn noch klammerte sich sein Ego an jede winzige Faser und formte sie zu seiner
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