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Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga

Titel: Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
Autoren: Anne Laureen
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der Tischplatte hinterließ, und knüllte das Blatt zusammen. Wollte das Schicksal nicht, dass sie heute Nacht noch fertig wurde?
    Die Bewerbung musste das Haus verlassen haben, bevor ihr Vater ihr ihren zukünftigen Mann vorstellen konnte. Denn mit einem eigenen Gehalt wäre sie nicht mehr erpressbar mit der Zuwendung ihrer Eltern. Und vielleicht würde auch jeder von ihrem Vater erwählte Heiratskandidat die Flucht ergreifen vor einer »Suffragette«.
    Diese Vorstellung heiterte Ricarda auf. Sie ergriff ein neues Blatt, wischte die Spitze des tropfenden Federhalters mit Löschpapier ab und begann von Neuem.

4
 

    Am nächsten Vormittag wachte Ricarda erst spät auf. Kurz wähnte sie sich noch in Zürich, doch als sie die leuchtend weißen Gardinen und die gediegenen Blumentapeten sah, wusste sie wieder, wo sie sich befand.
    Seufzend erhob sie sich. Auf dem Boden waren noch immer die zusammengeknüllten Papierstücke verstreut, auf dem Schreibtisch lag ihre Bewerbung, die sie in der vergangenen Nacht noch fertigbekommen hatte - ohne Tintenflecke.
    Dennoch würde sie sie vorsichtshalber noch einmal durchsehen, damit man sie nicht wegen eines Formfehlers zurückweisen konnte.
    In Zürich war ihr genau das bei einer ihrer ersten Hausarbeiten widerfahren. Die Aufgabe war korrekt gelöst gewesen, doch der Anatomieprofessor, der ihr alles andere als freundlich gesinnt war, hatte Ricardas Beitrag mit dem Hinweis auf die unzureichende Form zurückgewiesen. Nicht, dass sie Krähenfüße auf das Blatt gemalt hätte, lediglich der Rand auf dem Papier hatte nicht die richtige Breite besessen.
    Es hatte sie sehr viel Geduld und Überredungskünste gekostet, um den Dekan dazu zu bringen, für sie einzutreten. Doch erst nachdem sie den Text in die verlangte Form gebracht hatte, hatte der Professor ihn angenommen und mit einer Eins benotet - wohl auch deshalb, weil er es sich nicht mit dem Dekan verscherzen wollte.
    Jetzt gab es allerdings niemanden, den die Professoren an der Charite fürchten mussten. Wäre ihr Vater auf ihrer Seite gewesen, hätte es noch anders ausgesehen, aber er war es nicht. Vielleicht würde er den Kollegen, die ihn auf die Bewerbung seiner Tochter ansprachen, sogar empfehlen, diese abzulehnen ...
    Aber Ricarda verbot sich solche Spekulationen. Wer nichts wagte, hatte bereits verloren, ein Grundsatz, den Ricarda sich während ihres Studiums angeeignet hatte und dem sie treu bleiben wollte.
    Sie entledigte sich ihrer Nachtwäsche und ging zum Waschtisch, wo eine Waschschüssel und ein Wasserkrug standen. Im Spiegel betrachtete sie sich. Sie hatte einen schlanken Körper, beinahe etwas zu schlank für den geltenden Geschmack, was ihr aber den Komfort einbrachte, ihr Korsett nicht allzu eng schnüren zu müssen. Ihre Brüste waren fest und klein, ihre Taille schmal und ihre Hüften sanft gerundet.
    Sie war sicher, dass sie vielen Männern gefallen würde, doch sie wollte nur einen Mann, den sie liebte. Von ganzem Herzen liebte. Und den sie begehrte. Auf jeden Fall keinen, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte.
    Ein richtiges Bad wäre Ricarda angenehmer gewesen, hätte aber eine Reihe von Anweisungen und eine gewisse Wartezeit vorausgesetzt.
    Also wusch sie sich mit dem kühlen Wasser, das ihr am ganzen Körper Gänsehaut einbrachte, allerdings auch den letzten Rest Müdigkeit vertrieb. Als sie fertig war, trocknete sie sich ab und trat an den Kleiderschrank. Dort holte sie ein frisches Leibchen und eine frische Unterhose hervor und entschied sich für ein Kleid, das sie häufig während der Vorlesungen getragen hatte. Es war schlicht, verlieh ihr jedoch genau die Seriosität, die sie heute brauchte.
    Nachdem sie sich ein Rosinenbrötchen aus der Küche geholt hatte, verließ sie mit ihren Bewerbungsunterlagen die Villa. Sie hätte sich von Johann fahren lassen können, aber sie zog es vor zu laufen. In Zürich hatte es keinen Kutscher gegeben, und es fiel ihr auch nicht schwer, darauf zu verzichten.
 
    Bis zur Charite war es ein gutes Stück Weg. Die Straßen waren an diesem Vormittag gut gefüllt. Menschen aller Couleur waren unterwegs: elegant gekleidete Damen an den Armen ihrer Kavaliere, Dienstmädchen mit gestärkten Schürzen und Körben unter dem Arm; Laufburschen, Arbeiter in blauen Jacken und mit schmutzigen Gesichtern, eine Horde Kinder, die kreischend aus einem der Hinterhöfe stürmte.
    Ricarda liebte es, durch Menschenmengen zu wandeln. Sie betrachtete die Gesichter der Menschen und
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