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Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga

Titel: Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
Autoren: Anne Laureen
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wahrzunehmen. Das würde sich ändern, wenn sie erst einmal selbst im weißen Kittel durch die Flure lief! Sie machte sich keine Illusionen: Wahrscheinlich würde sie auch hier für alle ein Paradiesvogel sein.
    Als sie das Klinikgelände verließ, fühlte sie sich seltsam leicht und aufgeregt. Vielleicht würde der Professor ihren Brief gerade in diesem Augenblick öffnen und ihn sich anschauen.
    »Na, Frolein, sin' Se Ihren Brief losjeword'n?«, fragte der Pförtner.
    Hufschlag und das Knarren von Droschkenrädern verschluckten ihre Antwort beinahe, aber er schien sie trotzdem zu verstehen.
    »Auf Wiedersehen!«, rief er ihr nach.
    Ricarda war überzeugt, dass sie die Tore der Charite schon bald wieder durchschreiten würde - als Assistenzärztin.
 
    Auf dem Weg durch die Stadt kaufte sich Ricarda voller Überschwang ein Schächtelchen Pralinen und schlenderte an den Auslagen der Geschäfte vorbei. Der Himmel hatte aufgeklart, die Sonne schwebte als weiß leuchtender Ball über den Dächern Berlins. Vor dem Schaufenster eines Damenausstatters machte sie Halt und betrachtete das ausgestellte Modell, ein blaues Kleid mit weißem Kragen, Puffärmeln und einem Rock, der eine Hand breit über dem Knöchel endete. Für ihre Mutter wäre das wohl ein Skandal, aber gerade deswegen nahm sich Ricarda vor, dieses Modell zu kaufen, sobald sie ihren Dienst in der Charite angetreten hatte - als Zeichen für ihre neue Zukunft.
    Auf dem letzten Stück des Rückwegs wurde das Wetter wieder grau; es war, als wisse Petrus, was Ricarda in ihrem Elternhaus erwarten würde. Sie blieb einen Moment lang vor dem Tor stehen, sah den Kutscher, der gerade die Lampen ihres Landauers putzte, und die beiden Stallknechte. Hinter den Fenstern herrschte die übliche Reglosigkeit.
    Sie werden es dir nie verzeihen, dass du sich gegen sie stellst, dachte Ricarda. Wenn sie es erfahren, wird es ein Donnerwetter geben.
    Als sie die Eingangshalle betrat, schien sich eine Last auf sie zu legen, die ihr den Atem nahm. Um dieses Gefühl zu vertreiben, zog sie entschlossen die Handschuhe aus und lief die Treppe hinauf.
    »Ricarda!«
    Der Ruf ließ sie in ihrer Bewegung erstarren. Als sie den Kopf hob, erblickte sie ihre Mutter. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit weißen Verbrämungen, das ihr das strenge Aussehen einer Gouvernante verlieh.
    »Geruhst du, mit uns zu essen, oder soll Rosa dir das Mittagessen aufs Zimmer bringen?«
    Die Stimme ihrer Mutter klang kalt, und am liebsten hätte Ricarda sie ignoriert. Doch das konnte sie nicht so einfach.
    »Ich werde natürlich mit euch essen«, antwortete sie so höflich wie möglich. Warum ihre Mutter das wohl wissen wollte? Erwartete man von ihr nicht mehr, dass sie an den Familienmahlzeiten teilnahm? Und würde es heute erneut zu einer Szene kommen?
    »In Ordnung«, sagte ihre Mutter nur und musterte ihre Tochter einen Moment, als wolle sie aus den Falten ihres Kleides herauslesen, wo sie gewesen war und was sie dort getrieben hatte.
    Dann wandte sie sich um, und Ricarda zog sich in ihr Zimmer zurück.
 
    Das Essen verlief genau so, wie Ricarda es erwartet hatte. Das Schweigen hing wie eine Gewitterwolke über der Tafel und bewirkte, dass der Tafelspitz, den Ella zubereitet hatte, plötzlich fad schmeckte. Während Ricarda nach dem Weinglas griff, blickte sie zu ihrem Vater und las aus seinen versteinert wirkenden Zügen, dass er von dem, was er am vergangenen Abend gesagt hatte, nicht abrücken würde.
    Was würdet ihr sagen, wenn ich euch erzähle, dass ich meine Bewerbung abgegeben habe?, ging ihr durch den Kopf, während sie ihr Glas in der Schwebe hielt, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie einen weiteren Schluck nehmen solle oder nicht. Niemandem schien es aufzufallen. Ihre Eltern kratzten weiter mit ihrem Besteck auf den Tellern herum. Ricarda spürte, dass etwas in der Luft lag, und nahm sich vor, schnell zu essen, um dieser Stille möglichst bald zu entkommen. Sie setzte das Glas ab und machte sich über ihren Teller her, obwohl sie kaum Appetit hatte. Das Unwohlsein in ihrer Magengrube war stärker.
    Sie hatte kaum drei Bissen gegessen, als ihr Vater sich räusperte.
    »Ich habe erfahren, dass du heute in der Charite warst«, sagte er unvermittelt, und Ricarda schluckte das letzte Stück Tafelspitz vor Schreck beinahe unzerkaut hinunter. Sie traute sich nicht zu husten. Von wem hatte ihr Vater das erfahren? Hatte Professor Gerhardt gleich einen Laufburschen zu seiner Praxis geschickt,
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