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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Autoren: Nicole C. Vosseler
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die Heimat ihres Vaters; von dort war er einst gekommen, um aus Sansibar das zu machen, was es heute war. Die ältesten seiner Kinder lebten noch dort, die Kinder seiner Geschwister und deren Kinder. Als Majid nickte, setzte sie hinzu: »Wie ist es dort? So wie hier?«
    Majid grinste. »Kein bisschen! Nur Sand und Staub und Steine … Wie Sansibar ist es nirgendwo, das sagen alle, die schon etwas gesehen haben von der Welt.« Er hielt kurz inne, bevor er hinzufügte: »Du wirst es mit eigenen Augen sehen, in ein paar Jahren, wenn du einem deiner Vettern dort zur Frau gegeben wirst.«
    Salimas Kopf bewegte sich sachte auf und ab, während sie Altbekanntes und neu Gedachtes gegeneinander abwog. Von klein auf hatte sie gehört, dass sie eines Tages in den Oman reisen würde, um dort zu heiraten. Manchmal kamen Vettern oder Basen von dort zu Besuch. Salima mochte die meisten von ihnen nicht. Es machte sie wütend, wenn sie sich mit gerümpfter Nase im Palast umsahen und sich abfällig darüber äußerten, wie »freizügig« es auf Sansibar zuging, wie »afrikanisch« hier doch vieles sei, und wenn sie sich darüberereiferten, dass die Kinder neben Arabisch auch Suaheli im Mund führten. Doch noch nie hatte sie mit eigenen Augen gesehen, wie weit der Oman von Sansibar entfernt war.
    »Aber ich komme danach doch wieder nach Hause zurück, nicht wahr?«, fragte sie ihren Bruder unsicher.
    »Nein, Salima, du bleibst dann dort. Nach Sansibar wirst du nur noch zu Besuch reisen.«
    Majids Hände legten sich auf ihre Schultern, und zum ersten Mal empfand sie Widerwillen gegen eine Berührung von ihm; schwer kamen ihr seine Finger vor, wie eine Last.
    Frank-reich. Spa-ni-en. Por-tu-gal. Wie sieht es dort aus? Ein bisschen so wie hier? Oder ganz anders?
    Ein heißes Sehnen wallte in Salima auf, nach etwas, das sie sich nicht einmal vorzustellen vermochte, und zugleich gruben sich ihre Zehen in den wasserbedeckten Sand. Als könnte sie hier Wurzeln schlagen, tief, lang und stark.
    Stürmisch fuhr sie herum, schlang die Arme um Majid und vergrub ihr Gesicht an seinem Bauch.
    Sehen will ich das alles. Aber nie, nie will ich für immer von Sansibar fortgehen.
    Nie.
2
    Hellgoldenes Morgenlicht flutete die Frauengemächer von Beit il Mtoni. Der neue Tag roch klar und rein, nach regennassem Laub und nach dem Wasser des Flusses. Noch war er kaum beschwert von der schwülen Süße der Blüten und Gewürze, die allenthalben in der Luft lag, noch hatte die feuchte Wärme sich nicht zu dampfender, lähmender Hitze zusammengebraut.
    Still war es in den hohen weiten Räumen, deren dicke Mauern die Tropenglut des Tages fernzuhalten vermochten. Nur tiefe, gleichmäßige Atemzüge waren zu hören und vereinzelt leises Schnarchen. Nebenan huschten die Sklavinnen umher, darauf bedacht, ihre Herrinnen nicht vorzeitig aus dem Schlummer zu reißen, und trafen die Vorbereitungen für die aufwändige Morgentoilette.
    Es war die Stunde, in der die sarari , die Nebenfrauen des Sultans, und die älteren Kinder sich noch einmal schlafen gelegt hatten. Viel zu kurz waren die heißen Nächte, viel zu bald – lange vor Sonnenaufgang – erhob man sich schon wieder zu den rituellen Waschungen, um in frischer Kleidung den lang gezogenen Rufen des Muezzins Folge zu leisten. Wer nach dem Gebet weiterer Zwiesprache mit Allah bedurfte, blieb auf, bis sich die gleißende Sonnenscheibe über den Horizont geschoben hatte. Alle anderen zogen es vor, dieSpanne bis zum zweiten Aufstehen im Reich der Träume zu verbringen.
    Allein Salima war wach. Zu ihren Lebensjahren fehlten ihr noch deren zwei, um mit den Großen mitzubeten, und der Hege ihrer Amme, die sie früher immer in den Schlaf zu wiegen pflegte, war sie längst entwachsen. Bestrebt, ein braves Mädchen zu sein, kniff sie die Augen zu, um noch einmal einzuschlafen. Doch ständig klappten ihre Lider wieder auf. Ganz von selbst.
    Sie rollte sich auf die Seite, um die Schätze zu betrachten, die ihr der gestrige Tag beschert hatte und die sie unter schläfrigem Protest auch nicht aus den Händen hatte geben wollen, als man sie zu später Stunde in ihr Bett gesteckt hatte. Vor allem nicht diese eine Kostbarkeit, die das Schönste war, was Salima je besessen hatte: eine Puppe in einem Kleidchen aus engem Oberteil und mehreren glockenförmigen Röcken, über und über mit Rüschen und Spitze verziert, in weißen Strümpfchen und seltsamen geschlossenen Schühchen, deren Material steif war und glänzte, als sei es nass.
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