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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel
Autoren: Leonie Ossowski
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singen. Aber der Krieg ist für uns sinnlos geworden. Wenn man nicht an einen Sieg glauben kann, kämpft man nicht mehr ehrlich.«
    Antek hatte im ersten Augenblick die Worte Nagolds überhaupt nicht begriffen. Mit dieser Deutlichkeit hatte er noch nie einen Menschen sagen hören, dass der Krieg für Deutschland verloren sei. So etwas durfte man nicht einmal denken.
    »Aber«, hatte er gestottert, »wenn das wahr wäre, und es ist ganz bestimmt nicht wahr, solange es noch einen deutschen Soldaten gibt …«
    »Hast du schon einmal einen russischen Soldaten gesehen oder einen amerikanischen oder einen französischen oder einen englischen?«, hatte ihn Nagold angeherrscht.
    Antek war erschrocken, hatte den Kopf geschüttelt.
    »Dann red auch nicht so einen verdammten Unsinn.«
    »Aber was wird denn aus uns?«
    Nagold hatte vor sich hin genickt, als hätte er sich diese Frage schon tausend Mal gestellt, hatte die Schultern hochgezogen, wie er es oft tat, Antek angesehen und gesagt: »Nichts.«
    »Nichts?«, hatte Antek geflüstert, »wie können Sie das sagen?«
    »Doch, du musst dich daran gewöhnen, denn in Wochen, vielleicht in Tagen werden es alle sagen, nicht nur ich. Dann ist es vorbei. Dann gibt es kein Vaterland mehr, für das man kämpfen kann.«
    Antek war hochgefahren. Eine wilde Wut hatte in ihm jede Erwiderung erstickt. Wortlos war er aus dem Zimmer gelaufen, und er hatte sich beherrschen müssen, um nicht die Tür mit lautem Knall ins Schloss zu werfen.
    Von diesem Tag an hatte sich Anteks Liebe für den Lehrer in Verachtung gewandelt. Er vermied jedes Zusammensein mit Nagold. Von nun an war Nagold in Anteks Augen ein Feigling, ein Mann ohne Vaterlandsliebe, ein Lehrer, der es nicht wert war, das Vertrauen eines Schülers zu besitzen.
    Antek war anschließend zu seinem HJ-Führer gegangen, der sofort versprochen hatte, sich für ihn einzusetzen. Aber auch diese Bemühungen waren durch die enge Beziehung des Rektors Jähde zu dem Kreisleiter ergebnislos.
    Und damit war Anteks Schicksal besiegelt. Er durfte nicht Soldat werden.
    Nachts lag er lange wach, und wenn er endlich einschlief, quälten ihn böse Träume. Im Unterricht wurde Antek unaufmerksam, er gab freche Antworten und erstaunte die Kameraden durch ungewohnte Aufsässigkeit gegenüber den Erwachsenen. Zu den Freunden wurde er mürrisch und grob.

Jäh wurde Antek aus seinen Gedanken gerissen. Paule stieß ihn an.
    »Guck mal die da drüben«, sagte er und wies unauffällig auf eine schwangere Frau, die gierig ihre wässrige Suppe schlürfte, »was die für einen Hunger hat.«
    Paule beugte sich näher zu dem Freund.
    »Mit der kann man bestimmt einen Tausch machen. Frag mal, was sie für einen zweiten Teller geben will.«
    Antek rührte in seiner Suppe, ohne davon zu essen. So wie Paule muss man es eben machen, dachte er, sich um nichts weiter kümmern als darum, möglichst unauffällig und sicher das zu organisieren, was zum eigenen Wohl notwendig ist. Antek schob der Frau wortlos seine Suppe hin. »Nehmen Sie schon«, sagte er.
    »Du Idiot«, zischte Paule wütend. Antek hatte ihm das Geschäft vermasselt. Die Suppe musste schließlich verkauft werden, solange sie noch warm war.
    Er stieß den gegenübersitzenden Jungen vor das Schienbein. »Suppe?«
    Der Kleine nickte.
    »Was gibst du?«
    »Ich hab nichts.«
    Paule nahm seinen Teller zurück und zog schmatzend den Löffel durch die Lippen. Der Junge gegenüber schluckte trocken. Paule überlegte fieberhaft, was er dem Jungen abluchsen könnte. Irgendeinen Schatz hatte jeder und da sah er ihn auch schon. »Die Trillerpfeife«, zischte er.
    Der Junge schob den kostbaren Besitz über den Tisch. Aber Antek war schneller als Paule. Er riss dem Kleinen die Pfeife aus der Hand und ließ sie bei sich verschwinden.
    »Hol sie dir nachher bei mir wieder!«
    Dann wandte er sich an Paule. »Entweder du gibst ihm deine Suppe so oder du kommst nachher nicht mit. Das kannst du dir aussuchen.«
    Antek spürte eine wahre Lust, dem Freund den Tausch zu verderben. Dabei war es nicht das erste Mal, dass das Essen gegen andere Werte eingehandelt wurde. Antek hatte täglich zugesehen und nichts daran ausgesetzt. Heute war es anders. Paule hatte die Suppe ohne Gegenleistung hinübergeschoben. In dumpfer Wut brütete er vor sich hin, wie er Antek das heimzahlen könnte. So leicht ließ sich ein Paule nicht erpressen, und er dachte gar nicht daran, auf etwas zu verzichten. Antek war der Stärkste, Antek hatte den
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