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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel
Autoren: Leonie Ossowski
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Hitlerjunge, wenn ich für den Führer kämpfe.«
    Zick sah den Freund mit offenem Mund an. Willi wurde versöhnlicher.
    »Aber erst wird gekämpft, verteidigt. Mit den Händen, wenn es sein muss. Ich renne nicht davon wie die Flüchtlinge oder der Manfred heute in der Probe. Ich sag dir, Zick, mit der Panzerfaust geh ich auf die Russenschweine los, so …« Willi nahm ein Rohr, das vor ihm auf dem Boden lag, hockte sich in die Knie, visierte einen unsichtbaren Panzer an, machte sich sprungbereit, jagte das Rohr in die Luft und schrie: »Für Führer und Vaterland!«
    Platschend bohrte sich das Rohr in einen Kratertümpel.
    »Knallkopf, das war echt Kupfer!«
    Willi und Zick drehten sich um. Paule stand hinter ihnen.
    »Ich sammel mir das Kupfer zusammen und du Pfeife schmeißt es in den Krater – als ›Panzerfaust‹. So was Blödes.« Paule rutschte den Hang hinunter und zog das Rohr aus dem Morast. »Panzerfaust«, grunzte er abermals und schüttelte den Kopf, »bares Geld ist das, nicht für Führer und Vaterland, sondern für Paule!«
    Willi war offensichtlich geniert. Er wollte das Thema so schnell wie möglich wechseln, zog den Schlüssel aus der Tasche und ließ ihn bedächtig hin und her baumeln.
    »Mensch«, sagte Paule, »du hast den Schlüssel?«
    In seinen Augen blitzte es verheißungsvoll.
    »Ja, ich hab den Schlüssel«, äffte Willi nach.
    Paule legte das Rohr zu den übrigen.
    »Ich hab eine Idee«, sagte er. Alle drei kauerten sich auf den Boden.

Gleich am Anfang der Marktstraße stand eines der ältesten Häuser der Stadt. Die Sonne erreichte die winzigen Fenster nur in den frühen Morgenstunden. Seit Jahren saß der Schwamm in den Balken. Moos hatte sich unter die Dachschindeln gefressen, so dass die Feuchtigkeit bis zu den Stiegen kroch und im Flur einen ewigen Geruch nach Schimmel und nassem Holz verbreitete. Schon vor dem Krieg hatte die Baupolizei das Haus schließen wollen.
    Als der frühere Rektor Kimmich, wegen politischer Unzuverlässigkeit für ein Jahr in Schutzhaft genommen, aus dem Lager entlassen wurde und wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, hatte man ihm kurzerhand das alte Haus mit zwei Kammern und Küche zugeteilt. Alle anderen Räume waren durch Bombenangriffe unbewohnbar geworden.
    Kimmich war nichts anderes übrig geblieben, als damit vorlieb zu nehmen. Nagold hatte aus einer gewissen Anhänglichkeit dafür gesorgt, dass man ihm wenigstens durch Notenschreiben einen kleinen Verdienst zukommen ließ. So lebte Kimmich mit seiner vierzehnjährigen Enkeltochter Ruth zurückgezogen, von einem Teil der Bürger gemieden, von den anderen vergessen. Berufsausübung oder die Aufführung seiner Kompositionen waren ihm untersagt.
    Antek schlich sich am Kornhaus entlang, bis in Ruths Hörweite. Dann hob er die Hände zum Mund und ahmte in kurzen Abständen den Ruf eines Käuzchens nach. Antek sah, wie die schiefe Tür mit dem Eisenknopf aufgeschoben wurde und gleich darauf Ruth erschien.
    Er machte kehrt und trollte sich gemächlich in der gleichen Richtung wie Willi und Zick. Erst als er sich vor Lehrern und Kimmich in völliger Sicherheit glaubte, blieb er stehen.
    »Hat dein Großvater etwas gemerkt?«, fragte er. Wie immer, wenn sie vor ihm stand, wusste er im ersten Augenblick nicht, wie er sich benehmen sollte. Er wurde verlegen. Seine Frage kam ihm überflüssig vor.
    Ruth schüttelte den Kopf.
    »Na, komm schon, die anderen warten«, sagte Antek.
    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Wenn ihre Hände sich berührten oder er ihr beim Überklettern der Trümmerhaufen behilflich war, fühlte er ihren Blick.
    Antek ging voran.
    »Sieh mal, die Sonne«, sagte Ruth.
    Antek gab keine Antwort. Mädchen sagten manchmal die selbstverständlichsten Dinge und glaubten, damit ein Weltwunder entdeckt zu haben.
    »Hier unten«, hörte er sie sagen, »geht man wie in einem Schützengraben.«
    »Was weißt du schon, wie man da geht!«
    »Genauso wenig wie du, oder hast du vielleicht schon einen gesehen?«
    »Nein, noch nicht«, sagte Antek, »aber ich werd es schon schaffen, darauf kannst du dich verlassen.«
    Ruth spürte, dass ihre Worte ihn getroffen hatten. Es tat ihr Leid.
    »Antek«, sie zog ihn am Ärmel, bis er stehen blieb, »möchtest du immer noch so gern Soldat werden?«, fragte sie leise.
    »Möchten, sagst du? Es geht doch gar nicht mehr darum, ob ich möchte. Ich muss Soldat werden und ich will es auch. Wenn wir den Krieg verlieren, ist alles aus. Dann gibt es
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