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Stern der Göttin

Stern der Göttin

Titel: Stern der Göttin
Autoren: Sandra Melli
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konnte?
    Da sie sich langweilte, zählte sie die Wagen der Karawane. Es waren zweiunddreißig, eine Zahl, die Wuko nicht einmal denken konnte. Bis auf den vordersten wurde jeder Wagen von zwölf Ochsen gezogen, der führende aber nur von sechs. Dieses Gefährt war nicht mit Handelsgut beladen, sondern trug eine Art Hütte, in der der Kaufherr während der Reise mit seinem Sohn wohnte. Laisa nahm sich vor, diesen Wagen bei Gelegenheit einmal von innen zu betrachten. Derzeit aber begnügte sie sich damit, die Ochsen, die vor diesen Wagen gespannt waren, zu den einunddreißig Zwölfer-Gespannen hinzuzuzählen. Sie kam auf insgesamt dreihundertachtundsiebzig Ochsen und war stolz darauf, so gut rechnen zu können.
    Nun beschäftigte sie sich mit den Menschen, die die Karawane begleiteten. Zählen konnte sie sie nicht, weil sie teilweise von den Wagen und den Zugtieren verdeckt wurden. Also versuchte sie, die Leute anhand ihres Geruchs auseinanderzuhalten, und merkte sich davon ausgehend die Farbe ihrer Kleidung, körperliche Merkmale und den Schnitt der Gesichter. Es fiel ihr leichter, als sie erwartet hatte, denn die anderen Katzenleute kamen nur schlecht damit zurecht, Menschen zu unterscheiden. Daher sonnte Laisa sich in dem Gedanken, etwas Besonderes zu sein.
    »Laisa, auf geht’s! Du übernimmst jetzt die Erkundung im Wald links der Straße!« Offensichtlich gefiel es Wuko, sie herumkommandieren zu dürfen.
    Laisa riet ihm im Stillen, es nicht zu übertreiben, wenn er sein gesundes Fell behalten wollte. Mit einem Satz sprang sie über ihn hinweg und klatschte ihm die Schwanzspitze ins Gesicht. Bevor er reagieren konnte, war sie bereits außerhalb seiner Reichweite.
    Von Wukos Verwünschungen verfolgt, verschwand Laisa in dem Waldstück, an dessen Rand sich die Straße entlangzog. Schon nach kurzer Zeit hatte sie den schwerfälligen Wagenzug hinter sich gelassen und genoss ein bisher unbekanntes Gefühl der Freiheit. Der Wind blies günstig, und wenn Fremde sich näherten, würde sie ihre Annäherung bereits von weitem wittern.
    Plötzlich stockte ihr Schritt, und sie sog ein paar Mal die Luft ein, um zu prüfen, ob sie ihrer eigenen Wunschvorstellung zum Opfer gefallen war. Doch ihre Nase bestätigte, dass der anziehende Duft, der auf einmal in der Luft lag, zu jener fremden Frau mit den goldenen Augen gehörte, die sie beim Dorf gesehen hatte.
    Unwillkürlich bog Laisa in die Richtung ein, aus der ihr der Geruch am stärksten entgegenwehte. Dabei entfernte sie sich zwar weiter als erlaubt vom Wagenzug, doch je tiefer sie in den Wald vordrang, umso intensiver wurde der Duft. Bald konnte sie sogar die Spur der Frau im weichen Waldboden wahrnehmen. Von der Unbekannten ging eine fast unwiderstehliche Anziehungskraft aus, welcher sie wie ein Katling folgte, der im Spiel alles andere um sich herum vergessen hatte. Bei dem Gedanken an ihre selbstvergessenen Spiele als Kind erinnerte Laisa sich wieder an ihre Pflichten von heute und spürte ein schlechtes Gewissen. Sie wollte die Suche schon aufgeben und zur Karawane zurückkehren, als sie glaubte, den wehenden Mantel der Frau und ein Aufblitzen ihrer goldenen Haare zu sehen. Prompt lief sie weiter.
    Um nicht im Unterholz hängenzubleiben, sprang sie in großen Sätzen über die Hindernisse und fing sich mit den Armen ab, wie eine der kleinen, vierfüßigen Wildkatzen, die in den Wäldern lebten. Sie rannte so schnell wie wohl selten zuvor in ihrem Leben, und bald wurde der verführerische Duft so stark, dass er die Gerüche des Waldes übertönte. Auf Laisa wirkte er wie Katzenkraut, das die Frauen des Dorfes am Abend zerrieben, um die herumtollenden Katlinge in die Hütten zu locken. Sie hatte den Wagenzug ebenso vergessen wie die anderen Karawanenwächter und die ihr auferlegte Pflicht, die Gegend auszuspähen.
    Plötzlich sah sie die Frau auf einer kleinen Lichtung stehen. Die Goldhaarige drehte sich zu ihr um und winkte ihr. Doch als Laisa die Lichtung erreichte, löste sich die Fremde auf wie Nebel in der Sonne. Nur ihre Witterung blieb in der Luft hängen. Laisa schnupperte, um herauszufinden, wo sich die Frau versteckt haben könnte, und stellte fest, dass der Geruch in der Mitte der Lichtung am stärksten war. Als sie auf die Stelle zutrat, sah sie ein Glitzern im steifen, halbtrockenen Gras. Sie griff danach und hielt mit einem Mal das sternförmige Schmuckstück der Fremden in der Hand.
    Nun schnurrte sie vor Vergnügen, denn dieses Ding hatte sie vom ersten
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