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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich
Autoren: Thomas Enger
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Yards in der Fjordallé 16 über den Weg gelaufen. Es war um etwas Banales gegangen, nichts Dramatisches, nur ein paar magere Ergebnisse mit so geringem Nachrichtenwert, dass diese sich tags darauf nur in einer kurzen Notiz in der Zeitung Dagens Næringsliv und in einer schmalen Spalte auf Seite 17 der Finanzzeitung wiederfanden.
    Wie der Zufall es wollte, hatte er bei der Pressekonferenz neben Nora gesessen. Er war damals dort gewesen, um einen größeren Artikel über einen der Topmanager zu schreiben, der drei Wochen später das Unternehmen verlassen wollte. Sie gähnten sich durch die Präsentation der Bilanz und amüsierten sich immer mehr über ihre zunehmend erfolglosen Versuche, ihre tödliche Langeweile zu verbergen. Schließlich entschlossen sie sich, anschließend noch etwas trinken zu gehen, um wieder auf die Beine zu kommen.
    Sie steckten damals beide in mehr oder weniger ernsten Beziehungen. Sie mit einem Aktienmakler aus Nordstrand und er – nicht ganz so fest – mit einer noblen Anwältin der Kanzlei BA-HR. Ihr erster Abend aber war so lustig gewesen, so reibungsfrei, dass sie auch nach ihrem nächsten berufsbedingten Treffen etwas zusammen trinken gingen. Er hatte schon einige Beziehungen hinter sich, aber noch nie eine Frau getroffen, mit der das Zusammensein so unkompliziert war. Es machte ihm fast Angst, bei wie vielen Themen sie den gleichen Geschmack hatten.
    Beide mochten sie körnigen Senf auf ihren Würstchen, nicht die übliche grüngelbe Soße, konnten Tomaten nicht ausstehen, liebten aber Ketchup. Sie hatten ein Faible für die gleiche Art von Filmen, sodass sie nie lange diskutieren mussten, welches Video sie ausliehen oder in welchen Film sie gingen. Keiner von ihnen wollte ins heiße Ausland fahren, wenn Norwegen sonnenwarme Schären und frische Krabben zu bieten hatte. Und freitags aßen sie Tacos. Nur freitags.
    Irgendwann erkannten sie, dass sie nicht mehr ohne einander auskamen.
    Dreieinhalb Jahre später waren sie verheiratet. Jonas kam ziemlich genau neun Monate darauf, und sie waren so glücklich, wie zwei schlaflose Karrieremenschen Ende zwanzig es sein konnten, deren Alltag aussah wie ein Holzbrett voller Kerben und Risse. Es kam, wie es kommen musste: wenig Schlaf, kaum Zerstreuungen, ein minimales Verständnis für die Bedürfnisse des anderen, sowohl zu Hause als auch bei der Arbeit. Sie stritten immer häufiger und hatten immer weniger Zeit und Energie, einfach nur zusammen zu sein . Zum Schluss hatten sie beide keine Kraft mehr.
    Eltern. Das Schönste und Schlimmste, was man als Mensch sein kann.
    Jetzt hat sie sich bei einem anderen Mann untergehakt. Wie unprofessionell, denkt er, bei einer Pressekonferenz.
    Er versucht, in eine andere Richtung zu schauen, doch es gelingt ihm nicht. Gerade als Nora laut auflacht, sieht sie ihn. Sie erstarrt und verstummt, als hätte sie sich verschluckt. Dann stehen sie eine Ewigkeit da und sehen sich an.
    Er wendet den Blick zuerst ab. Vidar Larsen, der beim Norwegischen Telegramm-Büro NTB arbeitet, schlägt ihm auf die Schulter und sagt: »He, Alter, bist du endlich wieder da?« Er nickt, folgt Vidar wortlos und nutzt die Gelegenheit, sich so weit wie möglich von Nora zu entfernen. Er weicht allen Blicken aus, sieht zu Boden, folgt den Füßen und Schritten auf einem Weg, den er noch immer auswendig kennt. Er sucht sich einen Platz ganz hinten im Presseraum, damit er auf die Nacken der anderen schauen kann, und nicht umgekehrt. Der Raum füllt sich schnell. Nora und die Cordjacke treten gemeinsam ein und nehmen weit vorn Platz. Nebeneinander.
    So treffen wir uns also wieder, Nora.
    Wie damals auf einer Pressekonferenz.

8
    Drei Uniformierte kommen herein, eine Frau und zwei Männer, die Henning kennt: Arild Gjerstad und Bjarne Brogeland.
    Bjarne und Henning sind als Kinder auf dieselbe Schule in Kløfta gegangen. Sie waren nicht befreundet, ganz und gar nicht, sie waren nicht einmal in derselben Klasse. Damals reichte das schon aus, um sich nicht zu mögen. Doch das war nicht alles. Die Chemie zwischen ihnen stimmte nicht, das ganze Drumherum.
    Bjarne war ein Schürzenjäger, der sich schon früh vorgenommen hatte, möglichst viele Mädchen in möglichst kurzer Zeit rumzukriegen. Deshalb war Henning gleich klar gewesen, welche Ambitionen Bjarne hatte, als er plötzlich zu Hause bei Familie Juul vor der Tür stand. Hennings Schwester Trine erkannte das zum Glück auch sofort, sodass er gar nicht erst als stolzer großer Bruder in
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