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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Autoren: Michael Hübner
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hatte er seine Wohnung nicht mehr verlassen. Und er bereute es bereits, dieses sichere Versteck aufgegeben zu haben, auch wenn es voraussichtlich nur für ein paar Stunden war.
    Müde betrachtete er sich im Rückspiegel, sah die dunklen Ringe unter seinen Augen, die der fehlende Schlaf der letzten Wochen dort hinterlassen hatte. Seine Haut wirkte grau und schlaff, und seine braunen Haare hingen ihm strähnig und ungewaschen ins Gesicht. Es war das Abbild eines fünfunddreißigjährigen Mannes, dessen Leben aus den Fugen geraten war. Als der Anruf ihn vor gut zwanzig Minuten aus seiner Schlaflosigkeit gerissen hatte, hätte er eigentlich froh sein müssen. Jetzt jedoch wäre er am liebsten wieder umgedreht. Es dauerte eine Weile, bis er sich dazu durchrang, aus dem Wagen zu steigen.
    Augenblicklich schlug ihm die schwüle Nachthitze ins Gesicht und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Langsam bahnte sich ein grauer Leichenwagen einen Weg durch die Absperrung, als Sven sich den Beamten näherte. Ein junger Polizist trat ihm in den Weg.
    »Sie können hier nicht durch«, sagte er streng. »Polizeieinsatz.«
    Sven Becker blieb stehen und betrachtete den jungen Mann in seiner Uniform. »Tatsächlich?«, fragte er gereizt, während er seinen Dienstausweis aus der Gesäßtasche seiner verwaschenen Jeans zog. »Und ich dachte schon, Sie halten hier ’ne Parade ab.«
    Der junge Polizist schielte auf den Ausweis und zupfte verlegen an seiner Uniformjacke. »Kripo Koblenz?«, fragte er und betrachtete irritiert Svens Hemd.
    »Lassen Sie ihn durch!«, rief eine dröhnende Stimme im Hintergrund, die Sven sofort erkannte. Sie gehörte zu einem Mann, der etwa zehn Meter entfernt bei einer Gruppe Schaulustiger stand. In der einen Hand hielt er einen kleinen Notizblock, mit der anderen winkte er Sven energisch zu sich.
    »Kann ich jetzt meine Arbeit machen?«, fragte Sven Becker bissig.
    »Natürlich, Herr Kommissar. Entschuldigen Sie.«
    Sven verstaute seinen Ausweis wieder und ging auf den Mann zu, dessen Zuruf ihm wahrscheinlich eine längere Auseinandersetzung mit diesem Jungspund erspart hatte. Dennis Bergmann hatte seine dunkelblonden Haare wie üblich mit Gel zurückgekämmt, und sein markantes Gesicht war glatt rasiert.
    »Nimm’s dem Jungen nicht übel«, sagte er, nachdem er Sven eingehend gemustert hatte. »In dieser Aufmachung wirkst du nicht gerade wie ein Gesetzeshüter.«
    Verwundert sah Sven an sich herab und begriff erst jetzt. In der Unordnung und dem Halbdunkel seines Schlafzimmers hatte er sich das erstbeste Hemd übergestreift, das greifbar gewesen war. Dabei musste ihm entgangen sein, wie zerknittert es war. »Das trägt man jetzt so«, erwiderte er.
    »Na, den Trend hab ich wohl verpasst.« Dennis betrachtete Svens geschwollene Augen. »Sind die auch modern, oder machst du jetzt einen auf Herr der Ringe?«
    »Ich habe einfach in letzter Zeit schlecht geschlafen.« Sven wischte sich über die schweißnasse Stirn. »Und das lag nicht an dieser verdammten Hitze.«
    »Ich dachte, du hättest dir ein paar Tage frei genommen.«
    »Ja, das dachte ich auch, bis vor zwanzig Minuten.«
    Dennis sah ihn mitfühlend an. Dann griff er in die Innentasche seines Sakkos und zog einen Streifen Kaugummi heraus. »Scotch oder Bourbon?«
    »Was?«, fragte Sven irritiert.
    »Na ja, für einen überzeugten Biertrinker riecht dein Atem erstaunlich hochprozentig.« Er reichte Sven den Kaugummi. »Die Trennung von deiner Frau setzt dir ziemlich zu, was?«
    »Ich will nicht darüber reden, okay?«, ging Sven wie gewohnt in Deckung.
    »Schon gut«, wiegelte Dennis ab. »Glaub mir, ich hätte dich nicht rufen lassen, wenn ich das hier nicht für wirklich wichtig halten würde.«
    »Sag mir, wenn ich mich irre, aber liegt dieses Kaff nicht außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs?«
    »Ja, aber die Kollegen sind zurzeit mächtig unterbesetzt und haben uns um Hilfe gebeten. Angeblich haben wir auch mehr Erfahrung mit Mordfällen.«
    »Mord?«, fragte Sven.
    »Ja, es spricht einiges dafür.«
    »Hm, dann klär mich mal auf, mit deiner unendlichen Erfahrung.«
    Sie gingen langsam die Straße hinunter, während Dennis in seinen Notizen blätterte. »Laut seinem Ausweis handelt es sich bei dem Toten um einen gewissen Erik Jensen, neunzehn Jahre alt. Wohnt in dem alten Backsteinhaus dort drüben.« Er deutete auf ein mehrstöckiges Gebäude an der linken Straßenseite. »Er wurde da unten an der Baustelle von einem Auto erfasst, als er die
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