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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Autoren: Michael Hübner
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spie den kupferartigen Geschmack auf die Straße.
    Nicht ersticken! , schrie ein panischer Gedanke in ihm, während grelle Punkte vor seinen Augen explodierten. Sein Atem war nur noch ein pfeifendes Rasseln, aber das ständige Auf und Ab seiner Brust ging weiter. Und obwohl ihm klar war, dass er das hier nicht überleben würde, beruhigte er sich wieder, denn es war nicht die Angst vor dem Sterben, die ihn in Panik versetzte. Selbst die Tatsache, dass er schon mit neunzehn Jahren sterben würde, war ihm egal. Er wollte diesen Drecksäcken nur nicht die Genugtuung gönnen, dass er an seinem eigenen Blut erstickte. Und er würde auch nicht um sein Leben betteln. Denn dieses Leben war es nicht wert, dafür zu kämpfen.
    Benommen versuchte er sich zu orientieren, doch die Straßenlaterne blendete ihn. Nur undeutlich nahm er wahr, dass er quer auf der steil abfallenden Straße lag. In einiger Entfernung erkannte er die dunklen Umrisse eines Autos. Zwei Bremslichter in der Nacht, die ihn betrachteten wie glühende Augen.
    Ich lebe noch, du Scheißkerl! Also leg endlich den Rückwärtsgang ein und tu, wofür sie dich bezahlen!
    Sie hatten allen Grund dazu. Er wusste zu viel, war hinter ihr sorgsam gehütetes Geheimnis gekommen. Und vermutlich hatte sie das so überrascht, dass ihnen keine andere Wahl geblieben war. Sie hatten ihn unterschätzt.
    Eine weitere Schmerzwoge brach über ihn herein, und er registrierte nur undeutlich, wie der Wagen aufheulend in die Dunkelheit davonraste und all seine Hoffnungen mitnahm. Du hattest es fast geschafft , dachte er benommen. Nur zwei Tage. Zwei gottverdammte Tage! Wenigstens würde er dafür sorgen, dass sie nicht ungeschoren davonkamen.
    Nur mit Mühe gelang es ihm, den rechten Arm zu bewegen. Im Gegensatz zum Rest seines Körpers schien dieser den Aufprall halbwegs unbeschadet überstanden zu haben. Schwerfällig tastete sich seine Hand bis zur leeren Brusttasche seines Hemdes vor.
    Es war nicht mehr da!
    In panischem Schrecken zuckte sein hämmernder Kopf herum, so dass ihm schwarz vor den Augen wurde. Als er sich wieder erholt hatte, sah er es – das kleine blaue Buch, das etwa zwei Meter entfernt am Rande des Lichtkegels lag. Mit fast unmenschlicher Kraft stemmte er sich auf den Ellenbogen und zog sich ein Stück vorwärts, ignorierte den rasenden Schmerz, als seine zerschmetterten Gliedmaßen über den Straßenbelag schrammten. Es gelang ihm, einen flüchtigen Blick auf sein linkes Bein zu werfen. Ein großes Stück Knochen ragte wie ein blutiger Pfahl aus seinem Oberschenkel, und er wandte sich sofort wieder ab. Blut tropfte ihm aus Mund und Nase und bildete kleine Lachen auf dem Asphalt. Erst als seine Hand das kleine Buch zu fassen bekam, sackte er erleichtert zusammen. Sein ganzer Körper bestand nur noch aus Schmerzen. Ein dunkles Tuch legte sich über ihn, hüllte seine Wahrnehmung mehr und mehr ein, aber das war gut so. Er hatte die Dunkelheit immer gemocht, hatte sie stets als seinen einzigen Freund betrachtet. In ihrem Schutz hatte er sich nie vor anderen schämen müssen. Warum sich ihr nicht für immer anschließen?
    Nur noch schwach drangen Geräusche zu ihm durch. Er hörte Schritte und Stimmen. Rollläden und Fenster, die geöffnet wurden. Jemand schrie. Das alles war nur wenige Meter entfernt, doch es drang von weit her zu ihm, aus einer Welt, die ihn sein ganzes Leben lang ignoriert hatte, weil sie nur Perfektion akzeptierte.
    Seine Hände umklammerten das kleine Buch wie einen seltenen Schatz, während die Geräusche um ihn herum immer schwächer wurden, bis er nur noch leise Schritte wahrnahm, die sich ihm näherten.
    Sie kommen dich holen. Fast glaubte er, in blendende Klarheit einzutauchen. Wohin sie dich auch bringen, das Taxi ist soeben eingetroffen.
    Blut strömte aus der klaffenden Wunde an seiner Stirn und tauchte diese letzte Vision seines sterbenden Gehirns in leuchtendes Rot.
    Dann spürte er nichts mehr.
    Der Wagen ruckte kurz, als er abrupt an einer Kreuzung zum Stehen kam. Um ein Haar hätte er den Motor abgewürgt. Ihn ein weiteres Mal kurzzuschließen hätte unnötig Zeit gekostet. Also ermahnte er sich, Ruhe zu bewahren, während die Scheibenwischer über das gesprungene Glas schrubbten, um die Blutspritzer zu entfernen, die ihm die Sicht nahmen. Ein Stück Kopfhaut klebte an einem Wischblatt, hob und senkte sich mit ihm. Lange, dunkelbraune Haare sprossen daraus hervor. Hektisch schaute der Fahrer sich um, doch es war niemand zu sehen. Er
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