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Sterbensangst (German Edition)

Sterbensangst (German Edition)

Titel: Sterbensangst (German Edition)
Autoren: David Mark
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schaden kann.
    McAvoy dankt ihm mit einem Nicken. Sein Puls hämmert, aber er beruhigt ihn mit tiefen Atemzügen und geschlossenen Augen. Seine Schuhe sind überraschend leise auf dem Linoleumboden.
    Die Stille ist unheimlich. Grimmig. Sie ruft ihm seine eigene Sterblichkeit ins Gedächtnis. Ob er wohl von Geräuschen umgeben sterben wird, eingelullt von geschäftigem Treiben und Geplauder? Oder wird es ein einzelner Pistolenschuss sein und dann nichts mehr?
    Er betritt Chandlers Zimmer.
    Die Vorhänge sind vom selben Braungrün wie die in der Entbindungsstation im Hull Royal, alles andere ist von ausgewaschenem, freudlosem Blau.
    Chandler liegt regungslos im Bett und bietet ein Bild des Jammers. Seine Prothese lehnt an der Wand, so dass das Bein seiner Pyjamahose leer ist. Niemand hat sich die Mühe gemacht, es unterm Knie zu verknoten, und der Stoff ist nach links verdreht, so dass es auf den ersten Blick so wirkt, als sei das Knie in einem obszönen Winkel abgeknickt.
    Chandlers Hals ist dick bandagiert. Ein Schlauch führt von einem Beutel mit klarer Flüssigkeit zu einer Nadel in seinem rechten Handrücken. Ein dickerer Schlauch verschwindet in seinem Mund und seiner Kehle. Er ist seitlich an seiner Wange festgeklebt, und es hat sich bereits eine Kruste von angetrocknetem Speichel um das Klebeband gebildet.
    McAvoy greift in die Innentasche seines Mantels und holt ein Fläschchen heraus. Roisin hat ihm eingetrichtert, es nur mit Handschuhen zu berühren. Sie meinte, der Gestank würde in die Haut seiner Finger einziehen und sich nie wieder herauswaschen lassen. Er zieht die Hemdmanschetten herunter. Wickelt sie um die Hände. Hält das Fläschchen in der einen, während er es mit der anderen vorsichtig aufschraubt.
    Der Gestank ist außerordentlich. Selbst auf Armeslänge spürt er, wie seine Nasenflügel sich aufblähen und augenblicklich taub werden, während der stechende Ammoniakgeruch ihm ins Hirn steigt.
    Mit drei Schritten ist er beim Bett. Hält Chandler die Flasche unter die Nase.
    Eins …
    Zwei …
    Drei …
    Die bandagierte Gestalt beginnt, um sich zu schlagen. Chandler reißt die Augen auf und verzerrt das Gesicht. Er fährt sich mit den Händen zum Mund und zerrt an dem Beatmungsschlauch, an den Bandagen, während ein ersticktes, raues Husten durch seine Lippen pfeift.
    Sein Bein schlägt aus und trommelt auf die Matratze.
    McAvoy beugt sich vor. Greift nach dem Beatmungsschlauch und zieht. Nass und schleimig rutscht er aus Chandlers offenem Mund, und McAvoy lässt ihn zu Boden fallen.
    Chandler schiebt sich in eine sitzende Position und würgt Galle hoch. Hustet und zerrt an den Bandagen.
    McAvoys Miene bleibt ungerührt. Er sieht nur zu. Er überlässt Chandler seiner Panik. Der Agonie aus Angst und Verstörtheit, während er aus der Finsternis auftaucht.
    Er hört, wie Chandler die Stimme wiederzufinden sucht. Sieht seine Zunge schlangengleich über die trockenen Lippen hinter den besudelten Bandagen huschen.
    McAvoy beugt sich vor. »Sie haben überlebt, Sir.«
    »Sergeant …?« Die Stimme klingt belegt und kratzig. »Sergeant McAvoy?«
    McAvoy setzt den Stöpsel wieder auf die kleine Phiole mit klarer Flüssigkeit und steckt sie in die Tasche.
    »Tut mir leid, dass ich das tun musste, Mr Chandler«, sagt er, während er sich schwer auf der Bettkante niederlässt. »Ich brauche nur ein Ja oder Nein von Ihnen, Sir. Sie haben Schlimmes durchgemacht. Sie liegen im Krankenhaus. Sie haben versucht, sich das Leben zu nehmen.«
    Chandlers Augen öffnen sich langsam. Er schluckt mühsam, und McAvoy schenkt ihm einen Becher Wasser aus dem Krug auf dem Nachttisch ein, führt ihn an die Lippen des Schriftstellers. Der trinkt ein paar Schlucke, bevor er in die Kissen zurücksinkt.
    »Sie sind dahintergekommen, nicht wahr?«, sagt McAvoy und hält den Blick der kläglichen Gestalt im Krankenhausnachthemd fest. »Sie wissen, wer und warum.«
    Chandler nickt fast unmerklich. »Alles meine Schuld«, sagt er. »Ich und meine große Klappe …«
    »Er hätte es so oder so getan«, sagt McAvoy ernsthaft. »Er hätte einen anderen Grund gefunden. Das Ding, das in ihm steckte, hätte auf jeden Fall herausgewollt.«
    »Aber er war ein guter Mensch«, stottert Chandler. »Ich habe doch nur geredet. Es war lediglich betrunkenes Gequatsche. Ich habe ihm doch nicht gesagt, er solle alles umkrempeln, woran er je geglaubt hat …«
    »Trauer ist etwas Furchtbares«, meint McAvoy.
    »Das ist Mord auch«, erwidert
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