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Sterbensangst (German Edition)

Sterbensangst (German Edition)

Titel: Sterbensangst (German Edition)
Autoren: David Mark
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Chandler.
    Sie sitzen einen Moment lang schweigend da, dann steht McAvoy auf. Wendet sich vom Bett ab. Tritt ans Fenster, um seine Gedanken zu sammeln. Sieht durch die braungrünen Vorhänge auf den nassen Parkplatz hinunter, mit den schwankenden Bäumen, den regengepeitschten Autos und hin und her hastenden Strichmännchen. Vielleicht liegt es an der Höhe, an dem Eindruck, von oben auf die Welt hinunterzusehen, aber das Gefühl war noch nie stärker, dass es ihm allein obliegt, die Bürde von Schutz und Gerechtigkeit zu tragen. Er wendet sich um. Will die Sache zu Ende bringen.
    »Simeon Gibbons«, sagt er. »Wo ist er?«
    Der Name hängt schwer in der Luft. Chandlers Mund schnappt zu. Die Spannung scheint ein wenig aus seinem Körper zu weichen. Er befeuchtet sich die Lippen.
    »Ich wollte, das wüsste ich.«
    »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Ungefähr zehn Minuten, bevor man mich verhaftet hat.«
    »Er war dort? In Linwood Manor?«
    »Er ist Dauerpatient. Das Zimmer wird von einem seiner alten Kameraden aus der Armee bezahlt.«
    »Colonel Emms? Mit der privaten Sicherheitsfirma im Nahen Osten?«
    Chandler nickt.
    »Er hat Geld wie Heu, unser Sparky.«
    Chandler wendet den Blick ab.
    »Er hat mich zu seinem Beichtvater gemacht, ohne mir das Geringste zu erzählen.«
    McAvoy hofft, dass Emms inzwischen Pharaoh beichtet, die augenblicklich ins Brontë-Land aufgebrochen war, als er ihr erzählt hatte, was er in Anne Montroses Zimmer entdeckt hatte. »Sagen Sie mir, wie«, meint er. »Wie Sie dahintergekommen sind.«
    »Es war Chief Inspector Ray. Während des Verhörs las er eine Liste von Namen herunter. Leute, die möglicherweise auf der Todesliste des Täters standen. Ich glaube, es handelte sich dabei um Ihre Ermittlungsergebnisse. Er erwähnte eine junge Frau, die im Koma liegt. Anne Montrose.«
    »Und Sie haben den Namen erkannt?«
    »Ich wusste, dass sie Anne hieß. Den Rest habe ich mir zusammengereimt.«
    »Er hat Ihnen erzählt, dass ihr Name Anne lautet? In der Reha?«
    »Er schrie ihn nachts im Schlaf heraus.«
    »Hat er Ihnen auch gesagt, was im Irak geschehen ist?«
    »Er erzählte mir aus seinem Leben. Das machen die Leute, sie sprechen mit mir. Sie glauben, ich werde sie berühmt machen. Sie glauben, ich würde ein Buch über sie schreiben, und dann wäre ihr Leben irgendwie bedeutungsvoller …«
    »Aber Simeon wollte das nicht?«
    »Er brauchte nur jemanden zum Reden. Er war völlig am Ende. Haben Sie ihn gesehen, als Sie mich besuchen kamen? Nein, er muss bandagiert gewesen sein. Sein Gesicht, Sergeant. Es ist eine einzige Masse von Verbrennungen und Narben. Von der Explosion, die ihn beinahe getötet hätte.«
    Beinahe, aber nicht ganz, dachte McAvoy. Zahlte Emms auch für seine Behandlung? Mit ziemlicher Sicherheit.
    »Ich bin Schriftsteller, Sergeant. Ich stelle Fragen. Als man uns zusammenlegte, kamen wir ins Gespräch.«
    »Sie wurden Freunde?«
    »Ja, so würde ich es nennen. Wir interessierten uns beide fürs Boxen. Ich erzählte ihm von meinem Buch. Über den Boxer, den ich Ihnen gegenüber erwähnt habe. Er sagte, er hätte in der Armee auch geboxt. So fing es an.«
    »War er auch wegen Alkoholismus in Behandlung?«
    »Der rührt das Zeug nicht an, Sergeant. Was immer ihn am Laufen hielt, er wollte sich nicht abstumpfen.«
    »Also eine Depression? Posttraumatisches Belastungssyndrom?«
    »Vielleicht. Ich wusste nur, dass er sehr, sehr traurig war.«
    »Und Anne?«
    »Irgendwann kamen wir auf die Liebe unseres Lebens zu sprechen. Dazu hatte ich nicht viel beizutragen, aber er. Sagte, dass er nur ein einziges Mal verliebt gewesen sei. Dass sie bei einer Explosion schwer verletzt worden sei. Er hatte überlebt, und sie wachte nie wieder auf. Ich dachte, er meinte, sie wäre tot. Doch so war es nicht. Es stellte sich heraus, dass sie im Koma lag. In einer Privatklinik. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Machte irgendeine Bemerkung über Schneewittchen. Das gefiel ihm. Er lächelte zum ersten Mal, seit ich ihn kannte. Von da an ging er ein bisschen mehr aus sich heraus. Fing an zu reden. Erzählte mir über die Dinge, die er da drüben erlebt hatte. In der Wüste. Wie sein Geist sich geöffnet hatte.«
    »Für was geöffnet?«
    »Für alles.« Chandler schließt die Augen. »Haben Sie jemals über den Schmerz nachgedacht? Wen er befällt? Warum manche Glück haben und andere nicht? Haben Sie sich je gefragt, ob der Schmerz, wenn Sie ihn der einen Person wegnehmen,
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