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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer
Autoren: Constanze Kleis
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    3. Patientenverfügung
    Mit einer Patientenverfügung können Richtlinien zur medizinischen Behandlung festgelegt werden. Nur für den Fall, dass man selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist. Zwar lässt sich in der Patientenverfügung einiges festlegen, aber es bleibt in der konkreten Situation stets ausreichend Interpretationsspielraum, den zu füllen es einen nahen Menschen braucht. Jemand, der einen ausreichend gut kennt, der um die Haltung weiß, die man zu den nun anstehenden Entscheidungen hat, und der für die Gespräche mit den Ärzten auch den nötigen Durchsetzungswillen mitbringt. Viele der Verfügungen enthalten etwa keine Angaben für die Frage: Magensonde, ja oder nein? Ein nicht unwesentliches Detail. Deshalb besteht das perfekte Dreamteam aus Patientenverfügung UND Vorsorgevollmacht, aus einem Menschen, der eingearbeitet ist in unsere Bedürfnisse, unsere Wertvorstellungen dem Leben und dem Sterben gegenüber, und aus einer Anleitung, was genau wir wünschen und eben nicht. Eine Patientenverfügung muss schriftlich abgefasst werden. Auch hier bietet eine beim Hausarzt niedergelegte Verfügung Sicherheit. Obwohl es vom Gesetzgeber nicht gefordert wird, ist es darüber hinaus sinnvoll, die Patientenverfügung etwa alle zwei Jahre zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und diese Überprüfung jeweils mit dem aktuellen Datum und einer erneuten Unterschrift zu versehen. Kommt man ins Krankenhaus, sollte man immer darauf hinweisen, dass man eine Patientenverfügung hat. Sie sollte außerdem möglichst konkret formuliert sein. Meint: Vage Begriffe wie »unerträgliches Leben« oder »qualvolles Leiden« bieten zu viel Deutungsmöglichkeiten. Es gilt, sachlich nachvollziehbare Kriterien aufzustellen. Als Hilfestellung und um überhaupt einmal zu dokumentieren, um welche Entscheidungen es geht, hat das Bundesministerium der Justiz eine Sammlung von Textbausteinen veröffentlicht, die sich für die Erstellung einer Patientenverfügung eignen. [35] Sie sind als ›Formulierungshilfen‹ gedacht und nicht als Vorlage. Es ist wenig sinnvoll, wirklich ALLE genannten Eventualitäten schriftlich klären zu wollen. Eine Patientenverfügung, deren Umfang es mit dem des Berliner Telefonbuchs aufnehmen kann, hat geringe Chancen, Gehör zu finden. Es kommt sowieso immer anders, und außerdem muss der Arzt erst noch geboren werden, der die Zeit hat, sich gründlich einzulesen. Im Idealfall hat man einen Menschen seines Vertrauens, der nun Betreuer ist oder im Besitz der Vorsorgevollmacht und der im Zweifel in unserem Sinne entscheidet.
    Vermutlich fällt Ihnen gerade etwas immens Wichtiges ein, das gerade jetzt sehr viel dringlicher ist. Wäsche aufhängen zum Beispiel, sich die Nägel lackieren oder die Sockenschublade reorganisieren. Es sind aber genau diese Details, die am Ende so wichtig sein können. Für die Angehörigen, aber auch für die Ärzte und für den Patienten. Wir haben, wenn man es so ausdrücken will, Glück im Unglück. Obwohl meine Mutter weder eine Vorsorgevollmacht noch eine Betreuungsverfügung hat, wird uns kein Fremder vor die Nase gesetzt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: dass wir nun plötzlich Entscheidungen in der Größenordnung von Sein oder Nichtsein treffen sollen. Was meine Mutter wirklich gewollt hätte? Wir können es letztlich nur vermuten. Aber wir entscheiden. Als sie extubiert wird, halten wir alle die Luft an. Doch meine Mutter atmet weiter. Damit hat sie sich für eine Verlegung aus der Intensivstation auf die Überwachungsstation qualifiziert und – wir wagen kaum daran zu denken – vielleicht sogar für einen Aufenthalt in einer Reha-Klinik. Noch beim Sterben, das lernen wir nun, gilt es Prüfungen zu bestehen. Auch hier muss man sich dauernd weiterqualifizieren: für Aufmerksamkeit von Ärzten und Pflegern, für eine Behandlung und für eine Rehabilitation. Man traut meiner Mutter nun ein paar Monate mehr Leben zu. Es ist eine Ewigkeit mehr als das Nichts von vor einigen Tagen. Ich werde in fünf Monaten heiraten. Natürlich haben wir uns überlegt, die Hochzeit abzusagen. Andererseits: Vielleicht kann meine Mutter noch dabei sein. Sie hat eine winzige Chance. Sie passt in eine Streichholzschachtel.
    Wir sitzen jetzt zu dritt am Bett meiner Mutter. Sie ist weiterhin an alle möglichen Geräte angeschlossen. Nur mit äußerster Anstrengung kämpft sie sich zurück. Je mehr Bewusstsein zurückkehrt, umso deutlicher wird, was die Ärzte
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