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Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Titel: Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Autoren: Manfred Fluegge
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welch »günstiges« Klima sein Aufruf gefallen ist, den Geist und die Werte der Résistance in der gegenwärtigen Krise wiederzubeleben.
    Längst ist der Begriff »les indignés« in Frankreich in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Jedes Land hat seine »indignés«, sagt man in den französischen Medien, und immer ist Hessels Schrift mitgemeint. Denn er bleibt das ganze Jahr 2011 über präsent. Fast jede Woche ist er irgendwo im Fernsehen zu sehen. Im In- und Ausland wird er eingeladen, tritt überall auf, beendet aber keine Veranstaltung, keine Sendung, ohne ein Gedicht aufzusagen. Die Liebe zur Poesie scheint ihm genauso wichtig zu sein wie der Aufruf zur Empörung. In seiner Person findet man eine magische Verknüpfung von Poesie, Widerstand, Würde … und
Jules et Jim
.
    Aber Stéphane Hessel hat nicht nur Bewunderer. Er wird vor allem in Frankreich scharf kritisiert, von manchen auch lächerlich gemacht. Oft geht es um den vagen und recht allgemeinen Inhalt seines Textes, die Abstraktheit seiner Prinzipien, die unzeitgemäße Bezugnahme auf Positionen der Résistance aus dem Jahr 1944. Die schärfste Kritik aber entzündet sich an Hessels harscher Verurteilung der Politik Israels und seinem Eintreten für eine gerechtere Behandlung der Palästinenser, insbesondere im Gaza-Gebiet. Auch für viele Wohlmeinende ist es unverständlich, warum der ehemalige Diplomat Hessel gerade bei diesem Thema so einseitig Partei ergreift. Doch die Zweifel und die Widerrede konnten den Erfolg nicht mindern. Eine substantielle Auseinandersetzung mit dem Phänomen Hessel steht noch aus, mit der Person wie mit seiner Botschaft und deren Wirkung.
     
    Es gibt ein Geheimnis, ein Rätsel, ein Zauberwort, aber es ist nicht leicht zu benennen. Der Siegeszug von Stéphane Hessel, das weltweite Aufgehen seines Sterns, die reale und die suggestive Wirkung, die er überall ausübt, die auch nach vielen Monaten nicht nachlässt, ist nicht nur die Erfolgsstory eines unerwarteten Bestsellers, auch nicht die Krönung eines Zeitzeugen und Akteurs (das griechische Wort
stephanos
bedeutet »der Gekrönte«), es ist ein Gesellschaftsphänomen. Es ist der Triumph einer Persönlichkeit eher als einer Botschaft, denn die Geschichte, für die der Botschafter steht, die ererbte wie die selbst erlebte, ist ein wesentlicher Aspekt dieser Persönlichkeit.
    Die Botschaft hat zwei Elemente, und man sollte beide beachten: Aufruf zur Empörung und Verteidigung des Glücks. Auch zur Lebensgeschichte Hessels gehören zwei Elemente: Widerstand und in der Folge ein lebenslanges Engagement für die Menschenrechte sowie die Poesie als unverzichtbares Lebenselixier. Das Engagement steht neben der Ästhetik, und erst beide Aspekte zusammen machen seine Person und sein »Werk« aus.
    Mit 93 Jahren überschreitet er die Schwelle zum Ruhm. Mit 94 Jahren ist er ein Star, nicht nur in seiner Wahlheimat Frankreich. Aber das Alter hat immer etwas Abstraktes (für die anderen), und vor allem glaubt man es ihm nicht so recht, wenn man seinen jugendlichen Schwung sieht, seine aufrechte Haltung, seine natürliche Eleganz, seinen tänzelnd-federnden Schritt. Er ist vom Typus her kein Sportler, eigentlich auch kein Tänzer, selbst wenn er sein Leben als »Tanz mit dem Jahrhundert« geschildert hat. Seine Leichtfüßigkeit hat etwas vom antiken Götterboten Hermes mit den Flügeln an den Sandalen und am Helm. Aber er
hat
keine Botschaft, er selber, Stéphane Hessel, verkörpert sie. Sein Leben ist ein Kunstwerk, sein Porträt ist nur als persönliches Kunst-Stück auszumalen, geflochten aus Erinnerungen, Reflexionen, Begegnungen.
     
    Am meisten erstaunt seine Zuversicht. Er sieht die Welt und die Menschen auf dem Weg zum Besseren. Die Freiheit, die internationale Verbundenheit, die Glücksmöglichkeiten werden zunehmen. Natürlich gibt es Rückschläge, Enttäuschungen, schwierige Zeiten. Sie können überwunden werden, daran glaubt er fest. Es liegt ja an uns. Er sagt es immer wieder, er sagt es seit je. Er glaubt an die Menschen. Oder besser: Er will, dass wir an uns selbst glauben. Und er ist keineswegs naiv. Er hat nur andere Maßstäbe, andere Erinnerungen, andere Träume. Und dieser grundoptimistische Ton, diese positive Haltung dem Leben gegenüber, dieses Vertrauen in die Zukunft geben seiner Revolte erst die wahre Kraft.
    Seine Zuversicht ist weder blind noch naiv. Er hat die Abgründe der Zeit erlebt. Was das Schlimmste ist, muss man niemandem sagen, der auf
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