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Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Titel: Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Autoren: Manfred Fluegge
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den Händen des SD. Kurz vor dem 8. August wird er in das Gefängnis nach Fresnes gebracht. Am 8. August 1944 verlässt ein gewöhnlicher Eisenbahnwagen den Pariser Ostbahnhof (Gare de l’Est). Darin sitzen viele politische Gefangene, Frauen und Männer, darunter eine Gruppe von 37 alliierten Offizieren, in Handschellen und von deutschen Soldaten bewacht. Erste Station ist Verdun. Dort verbringen sie eine Nacht in einer Scheune, bewacht und mit Handschellen. Auf der Weiterfahrt am nächsten Tag beschädigt ein englischer Fliegerangriff den Zug, so dass alle Gefangenen auf Lastwagen umsteigen müssen, die sie in das Lager Neue Bremm bei Saarbrücken fahren.
    Hinter der Grenze ändert sich die Atmosphäre schlagartig. In der ersten Nacht auf deutschem Boden werden alle37 Offiziere in einen Raum von drei mal drei Metern gezwängt, es gibt kaum Luft zum Atmen. Erstickungsgefühl. Ende der Freiheit, der Hoffnung, der rettenden Gedanken.
    Die 37 Männer lernen sich erst jetzt kennen, empfinden sich aber sogleich als Gruppe. Immerhin einen kennt Stéphane aus London: den Engländer Forest Yeo-Thomas, Pilot, Verbindungsmann zwischen Résistance und BCRA, ein Bekannter von Churchill. Er agierte unter dem Decknamen Ken Dodkin und scheiterte bei dem Versuch, einen führenden Widerständler aus der Hand der Deutschen zu befreien, den Sozialisten Pierre Brossolette. Dodkin ist der Älteste in der Gruppe und übernimmt ganz natürlich deren Führung. Stéphane Hessel hilft ihm, weil er als Einziger fließend Deutsch spricht.
    Man trägt die Bitte um Verbesserung der Unterbringung vor. Sie wird abgeschmettert. Hier hätten sie nichts zu melden. Offiziere? Ein Dreck seien sie hier. Man sieht andere Häftlinge, die misshandelt, gequält, verhöhnt werden. Sie sind im SS-Staat angekommen. Hier zeigt sich, was aus den Deutschen geworden ist: eine ungenierte Mördertruppe.
    Nun ist Stéphane wirklich in ihren Händen. Ein kleines Fünkchen Hoffnung schöpft er aus dem Bewusstsein, dass die Nazis den Krieg verlieren werden. Das hilft. Doch es bleibt die Frage, ob sich sein Schicksal an dieser Stelle brechen soll. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte der 27-Jährige längst einen bemerkenswerten Lebensroman hinter sich.

Der Stoff, aus dem die Mythen sind
    »Ach, Sie sind das kleine Mädchen aus
Jules und Jim
!« Wie oft hat Stéphane Hessel diesen Satz hören müssen. Nein, er war nicht das kleine Mädchen, aber das fiktive Mädchen war das Kondensat von zwei realen Jungen, den BrüdernUlrich und Stéphane Hessel. Das kleine Mädchen aus dem Film hieß im wirklichen Leben Sabine Haudepin und wurde nach ihrem frühen Debüt in François Truffauts Film
Jules et Jim
eine wunderbare Schauspielerin. Dieses Beispiel zeigt ein Problem der Hessels: Das wirkliche Leben wird literarisch kontaminiert, wird so sehr überlagert von einer Schicht aus Mythen, dass man nicht mehr glauben mag, dass es eine biographische Wirklichkeit überhaupt gab. Doch so spielerisch einfach ist die Sache nicht. Diese Art Spiel mit der Liebe und dem Leben erzeugte ganz reale Leiden …
    Denn hinter Truffauts Film von 1962, einer Adaptation des Romans von Henri-Pierre Roché aus dem Jahr 1955, steht die wahre Geschichte von
Jules und Jim
, die wechselhafte Liebesgeschichte von Helen und Franz Hessel. Dahinter stehen tatsächliche Biographien und Lebensereignisse zwischen 1906 und 1933. Doch seit Stéphane Hessel selber zur mythischen Figur geworden ist, verblasst diese Vorgeschichte etwas und wird zum bloßen Prolog seines unvergleichlichen Lebens. Jemanden wie ihn allerdings konnte man nicht erfinden, ein solches Leben hätte einem niemand geglaubt. Und doch ist es kein Zufall, dass es so kam. Die Idee, dass aus dem Leben Geschichten wachsen, dass man das eigene Leben auf Mythen abbilden kann, hat im Leben der Generation seiner Eltern dazugehört und auf ihn abgefärbt. Seine Person wird dadurch auf eine magische Weise illuminiert.
    Man kommt sich beinahe pedantisch vor, wenn man sich angesichts des Mythos auf reale Befunde beruft, selbst wenn man versichert, wie spannend das wirkliche Leben der Protagonisten war, wenn es sich auch nicht an die Gesetze von Buch oder Leinwand hielt. Schaut man genauer hin, ist es keine fröhliche Glücksgeschichte, keine unbeschwerte Lebensutopie, sondern die Geschichte eines tragischen Scheiterns. In der Wahrnehmung der Legende von »Jules undJim« aber überwiegt das Euphorische, das Glücksversprechen, als müsste der Glaube an etwas
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