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Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Titel: Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Autoren: Manfred Fluegge
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Man hat ihn gefasst, und er will gefasst bleiben, schließlich musste er in seiner Mission auf alles gefasst sein. Aber wenn der Ernstfall eintritt, ist es doch ganz anders, als man es sich ausgemalt hat. Verhaftet in Paris, der Stadt, an der er so sehr hängt, dass er sie nicht verließ, als es ihm befohlen wurde.
    Der erste Gedanke ist ein Sonett-Anfang.
No longer mourn for me when I am dead

du
muss es heißen, klage du nicht zu lange um mich, wenn mein Tod vermeldet wird. Der Satz richtet sich an einen bestimmten Menschen. Und an wen denkt der Verhaftete an diesem Montag, dem 10. Juli 1944? An seine Frau? An die Kameraden? An den Bruder? Denkt er an seine Eltern, die nur wenige Schritte entfernt von hier gewohnt haben, in der Rue Schoelcher, am Ostende des kleineren Teils vom Friedhof Montparnasse?
    No longer mourn for me
– verschwendet eure Zeit nicht mit nutzlosen Klagen, hat Shakespeare das gemeint? Und an wen hat er dabei gedacht? Wer war sein Du? Das weiß man nicht so genau, schließlich weiß man nicht, wer Shakespeare überhaupt war. Wissen die Nazischergen, wen sie hier verhaften? Interessiert es sie, welche Geschichte der Verhaftete mit sich trägt? Was ihn mit diesem Ort verbindet, an dem sein Leben enden könnte?
    Es ist zu schäbig, dieses kleine Bistro, genau an der Ecke, wo der Boulevard Edgar Quinet, die Südgrenze des Friedhofsvon Montparnasse, schräg auf den Boulevard Raspail stößt.
Les Quatre-Sergents
heißt die Kneipe, vier Feldwebel waren nicht nötig, hier genügten zwei, um Greco festzusetzen. Und ein Verräter.
    Verhaftet gleich neben dem Friedhof, zu dumm, zu passend. Jetzt ist das Spiel aus. Jetzt kommt der Tod. Alles andere ist unwahrscheinlich. Die »Mission Greco« ist zu Ende. Ausgerechnet an diesem Ort in Paris. Da ist die kleine Straße mit den Mauern, die den großen Friedhof in zwei Bereiche teilt. In dieser Gasse zwischen den Gräbern haben sich einmal drei Freunde ein spaßiges Wettrennen geliefert, der Vater, die Mutter, ihr französischer Freund. Wenige Schritte von hier, genau an der Ecke zum Boulevard du Montparnasse, liegt das Café du Dôme, in dem sich seit 1904 die deutschen Künstler trafen. Wer immer aus München oder Berlin nach Paris kam, fand sich in dieser engen Kutscherkneipe ein. Der Vater war hier lange Zeit Stammgast, in diesem Künstlertreff lernte er die Mutter kennen, das war im Herbst 1912. Hier eigentlich begann seine eigene Vorgeschichte, in dieser Ecke der Stadt wurde bestimmt, dass auch für ihn Paris zum Schicksalsort wurde.
    Künstlertreff, Künstlerpech. Polizeitreff nun. Greco hatte schon mehrere Termine an diesem Tag absolviert. Jedes Treffen stellte ein Risiko dar, aber ganz ohne Vertrauen erreichte man nichts in der Résistance. Schon seit März lebt er mit falschen Papieren, die ihn als Geschäftsmann aus Lyon ausweisen, in wechselnden Quartieren, mal an der Rue Mouffetard, mal in einem Hotel, mal in der Rue Campagne-Première, die Straße der Malerateliers in der Blütezeit von Montparnasse.
    Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern
… Ringelnatz! Den der Vater so geliebt hat. Ein fernes Echo der Shakespeare-Verse.
Meine Liebe wird mich überdauern.
Am Grab des Vaters wurde es aufgesagt, in Sanary, das ist jetzt drei Jahre her. Der Vater, der ihm den Sinn für Lyrikgab und ihre lebensbejahende Kraft.
Lebe, lache gut! mache deine Sache gut

    Grecos zehnter Kontakt an diesem Tag hatte den Decknamen Bambou, ein Funker, den er aus London kannte. Die Verabredung lautete: 18 Uhr im Café des Quatre-Sergents. Es hieß, Bambou sei von den Deutschen verfolgt worden, ihnen aber entkommen, er brauche neues Material, um weiter nach London funken zu können, aber auch neue (falsche) Papiere, neue Kleidung und Geld.
    Jean-Pierre Couture wollte Greco zu dem Treffen begleiten, doch der fand es sicherer, allein hinzugehen. Bambou saß schon auf der Terrasse vor dem Bistro, als er eintraf, neben ihm ein zweiter Mann, den er als alten Kameraden vorstellte. Sie gingen zum Reden ins Innere des Bistros. Bambou redete sonderbares Zeug: Die Deutschen hätten ihn beinahe gefasst, aber er sei entkommen, besitze nun aber nichts mehr. Vielleicht war Greco schon müde, etwas zerstreut, hörte nicht auf den Ton in der Stimme des anderen. Er ließ sich zu tief hineinlocken in das Bistro. Keine Chance zur Flucht. Und dann gleich die Verhaftung. Als es zu spät war, begriff er: Bambou war den Deutschen nicht entkommen, sie hatten ihn verhört und gefoltert
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