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Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Titel: Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Autoren: Manfred Fluegge
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Ladenpreis von drei Euro vertrieben werden.
    Am Donnerstag, dem 21. Oktober 2010, wird Stéphane Hessel kurzfristig von dem Moderator Frédéric Taddeï in die Fernsehsendung
Ce soir ou jamais
eingeladen. Zu den Gästen der politisch-kulturellen Talkshow im Programmvon France 3 gehören an diesem Abend der linksradikale Politiker Olivier Besancenot, die damalige Forschungsministerin Valérie Pécresse und der Essayist Guy Sorman.
    Es wird sehr bald eine Diskussion auf Französisch: Alle reden gleichzeitig, alle berauschen sich an ihren Sätzen, der Zuhörer versteht kein Wort. Schließlich wird es Stéphane Hessel zu bunt, und er sagt: »Mes enfants, taisez-vous, cessez de vous engueuler!« (Kinder, seid doch mal still, hört doch auf, euch gegenseitig anzuschreien!) Und oh Wunder – es tritt Ruhe ein. Man schaut und hört nur noch auf ihn, die schmale, schlanke, elegante Person mit der hohen Stirn, den grauen Schläfen, den hängenden Schultern, der leicht zischelnden, aber sehr artikulierten, ruhigen Stimme, die einem lange im Gedächtnis bleibt. Und man begreift: Dieser Mensch hat eine magnetische Wirkung auf seine Zuhörer. Mit ihm bricht etwas anderes ein, beinahe ein Stück Unwirklichkeit. Mit dieser pädagogischen Intervention erreicht er mehr als mit allem, was er sonst noch sagt im Verlauf des Abends. Ganz plötzlich hat er einen anderen Status. Und seine kleine Publikation hat es auch. Denn es geschieht ein Wunder, ein verlegerischer Urknall.
    In den nächsten Tagen reißt man sich die Broschüre aus den Händen, sie ist im Nu ausverkauft, der Verlag kommt kaum hinterher mit den Nachauflagen. Bis Ende des Jahres sind etwa 500   000 Exemplare verkauft. Rasch wird
Indignez-vous!
zum Spitzentitel in allen Bestsellerlisten. Irgendwann beschließt der Verlag, 600   000 Exemplare auf einen Schlag drucken zu lassen. In Spanien gibt es deshalb einige Tage lang kein Papier mehr. Aber auch diese Auflage findet ihre Abnehmer. Das ganze Jahr 2011 über hält der Erfolg an, mit einer kleinen Delle zwischen Mai und September. Bis Ende 2011 werden in Frankreich weit über zwei Millionen Exemplare verkauft. Stéphane Hessel ist plötzlich allgegenwärtig in den französischen Medien, überall erscheinen Porträts, Interviews, Home-Storys. Überdiesnimmt er Stellung zu aktuellen politischen Fragen. Er wird zu einer nationalen Ikone.
    Sehr schnell passiert ein zweites Wunder: Ab Januar 2011 interessiert sich das Ausland für Hessels Pamphlet, Italien, Deutschland, Spanien – in dieser Reihenfolge. Es erscheinen nach und nach Übersetzungen in über 40 Sprachen, wobei das Titel-Verb
s’indigner
jeden Übersetzer vor Probleme stellt, außer in den romanischen Sprachen. Was meint es – empören, aufbegehren, protestieren, rebellieren? Und was ist die Botschaft, die Zielrichtung? Die Wirklichkeit selbst scheint darauf eine Antwort zu geben. In mehreren Ländern brechen Unruhen aus, Jugendproteste vor allem. Es geht um die Arbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit, die Vorherrschaft der Finanzwirtschaft, den Vertrauensverlust der traditionellen Politik. Besonders heftig sind die Reaktionen in Spanien, wo das Buch unter dem Titel
¡Indignaos!
erscheint und die Demonstranten nach Hessels Buch benannt werden: »Los indignados«. Der spanischen Ausgabe ist ein Vorwort beigegeben von José Luis Sampedro, einem Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller, der genau wie Hessel im Jahr 1917 geboren wurde.
    Noch verblüffender: Auch in der arabischen Welt brechen 2011 Unruhen aus. Und in der Tat haben viele Akteure des »Arabischen Frühlings« in Tunesien Hessels Pamphlet gelesen, in der französischen Fassung, oft im Internet. Seither ist auch eine arabische Version erschienen. Land um Land wird so erobert. Eine solche suggestive Wirkung hat man seit Mao Tse-tungs rotem Büchlein in den späten 1960er Jahren nicht mehr beobachtet. Hessels Buch sei »ein planetarisches Ereignis«, meint der Verleger Jean-Pierre Barou.
    Eine Woche nach der Vorstellung der englischen Fassung in New York beginnen dort Massendemonstrationen unter dem Slogan »Occupy Wall Street«. Die Anfänge dieser Bewegung liegen früher, aber es scheint doch bezeichnend zu sein, dass die Anwesenheit Hessels und das Lancieren derenglischen Fassung unter dem Titel
Time for outrage!
, die in den Medien durchaus ihr Echo fand, einen Zündfunken mehr bedeuteten. Selbst wenn sein Anteil an der inzwischen weltweiten Protestbewegung klein sein mag, so zeigt sich doch, in
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