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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie
Autoren: Daniel Goffart
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in sogenannten prekären Beschäftigungsverhältnissen behaupten müssen. Dazu zählen befristete Jobs, Zeit- und Leiharbeiter, die steigende Zahl der geringfügig Beschäftigten und die sogenannten Aufstocker – jene Arbeitnehmer, die in ihren Jobs so wenig verdienen, dass sie ergänzend Sozialhilfe benötigen, um das Existenzminimum für sich und ihre Familien sichern. Steinbrück, selbst Vater von drei erwachsenen Kindern, hat außerdem die vielen arbeitslosen Akademiker im Auge, die trotz ihres bestandenen Examens keine Stelle finden und sich in einer schier endlosen Kette unbezahlter Praktikumsplätze oft über lange Zeiträume von Firmen ausnutzen lassen.
    Unverkennbar geht Steinbrück also in seinen jüngsten Reden mehr und mehr dazu über, die sozialen Belastungsgrenzen und die Fliehkräfte unserer Gesellschaft zu thematisieren. Manchmal hört er sich dabei schon an wie Sigmar Gabriel. Wenn inzwischen sieben bis acht Millionen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt seien, würden die gesellschaftlichen Fliehkräfte zwangsläufig zunehmen, mahnt Steinbrück. Der dadurch bedrohte innere Frieden könne auch leicht am Bestand des Wirtschaftsstandorts Deutschland rütteln. Man gewinnt beim Zuhören immer stärker den Eindruck, dass da der Resonanzboden dieser Thematik für den kommenden Wahlkampf getestet wird.
    Das gesellschaftspolitische Rezept, mit dem die SPD die Spaltung der Arbeitswelt beheben will, ist schnell umrissen: Gefordert werden ein flächendeckender Mindestlohn, eine Erschwerung bei der Auslagerung von Jobs aus tarifgebundenen Betrieben, die gleiche Bezahlung von Leih- und Zeitarbeitern im Vergleich zur Stammbelegschaft sowie eine weitere Einschränkung bei der Befristung von Arbeitsverträgen.
    Das alles sind ausgesprochen sozialdemokratische Antworten, und man fragt sich, ob Peer Steinbrück am Ende wirklich der richtige Kandidat ist, um sich in einem solchen Gerechtigkeitswahlkampf zu behaupten. Wäre eine Kampagne mit einem solchen Themenschwerpunkt nicht eher einem klassischen Sozialdemokraten wie Sigmar Gabriel auf den Leib geschneidert?
    Eines muss man Steinbrück auf jeden Fall zugutehalten: Dem breiten Publikum gilt er als einer der wenigen Politiker, der den Leuten reinen Wein einschenkt. Und mit diesem Pfund kann er wuchern, weil er weit weniger als andere im Verdacht steht, Sachverhalte bewusst unvollständig oder aus Parteitaktik heraus verdreht darzustellen. Wenn nun jemand wie er die wachsende Ungerechtigkeit und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft thematisiert, dann glaubt man ihm als bekennendem Wirtschaftsfreund vielleicht eher als einem SPD-Chef, der solche Reden quasi schon von Amts wegen halten muss. Egal, wie der Kanzlerkandidat am Ende heißt: Jedenfalls werden die sozialen Themen den kommenden Wahlkampfs prägen, schon allein um die Zufriedenheit der Deutschen mit der präsidialen Regierungsweise der Kanzlerin etwas zu erschüttern.
    Auch die Bildungspolitik wird fester Bestandteil des SPD-Wahlprogramms sein. Vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft rückt hier vor allem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Mittelpunkt. Wenn den Unternehmen, wie prognostiziert, schon in wenigen Jahren die dringend benötigten Fachkräfte fehlen, kommen sie an einer Mobilisierung der gut ausgebildeten Mütter nicht vorbei. Viele Frauen mit Kindern müssen immer noch wegen fehlender Ganztagsbetreuung zu Hause bleiben und auf eine Berufstätigkeit verzichten – ein Armutszeugnis nach den jahrelangen Diskussionen. Als wahres Wahlkampfgeschenk verstehen Steinbrück und die SPD in diesem Zusammenhang das Betreuungsgeld. Das selbst in der schwarz-gelben Koalition umstrittene Vorhaben, allen Müttern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, einen Obolus von zunächst 100, später 150 Euro pro Monat auszuzahlen, ist in Wahrheit nur ein Zugeständnis an die CSU. Diese auch als »Herdprämie« verspottete Sozialleistung lehnen laut Umfragen rund 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung ab. Für die SPD jedenfalls ist das Betreuungsgeld ein politischer Glücksfall. So kann sie lautstark ein überholtes Rollenverständnis der Konservativen anprangern und mit der Mehrheitsmeinung im Rücken öffentlich fordern, das Geld lieber in den Ausbau der Kindertagesstätten zu investieren. Da kaum ein politisches Feld in Deutschland so ideologisch besetzt ist wie Erziehungsfragen und Familienpolitik, scheint sich dieses Thema bestens für eine Wahlkampfauseinandersetzung zu
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